Interview mit Friederike Wißmann auf der Leipziger Buchmesse 2012 über Ihr Buch „Hanns Eisler – Komponist. Weltbürger. Revolutionär.“

RALPH KRÜGER: Sie haben sich heute wahrscheinlich schon in mehreren Interviews den Mund fusselig geredet über Hanns Eisler, aber Sie sind immer noch mit Begeisterung dabei. Wie kommt’s?

FRIEDERIKE WISSMANN: Hanns Eisler ist einfach eine faszinierende Persönlichkeit. Und bei Hanns Eisler war die Situation jahrelang so, dass sich zwei Lager pro und contra Hanns Eisler gebildet hatten. Meine Begeisterung ist jedoch nicht von der Art, dass ich mich einfach dem Lager Pro-Hanns-Eisler zuschreiben lassen möchte, sondern es ist eher eine distanzierte Begeisterung, die genauso flammend ist. Aber Hanns Eisler wurde immer zusammen mit seinen politischen Kompositionen gesehen und natürlich auch mit seiner politischen Ideologie. Und lange Zeit dachte man, dass diese politische Ideologie auch von seinen Rezipienten 1:1 übernommen werden müsste. Vielleicht war das einfach eine andere Generation oder eine andere Sichtweise. Ich hingegen interessiere mich sowohl für den Menschen als auch für den Komponisten, und der begeistert mich sehr auch und gerade in seiner Widersprüchlichkeit und auch an den Bruchstellen, die es gibt.

RALPH KRÜGER: Und davon gibt es ja bei Eisler eine Menge. Ich selbst bin ja nun kein Musikwissenschaftler, aber ich könnte mir vorstellen, dass vielleicht auch die Bewertung und Diskussion eines musikalischen Werkes davon abhängt, ob der Komponist noch lebt oder eben nicht mehr. Zu Lebzeiten von Hanns Eisler mag die Diskussion über sein werk noh weitaus stärker von unterschiedlichen politischen Auffassungen geprägt sein als heutzutage.

FRIEDERIKE WISSMANN: Eisler ist jedoch auch noch ein Sonderfall, weil Eisler zeitlebens im Brennpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit stand. Hanns Eisler war als ein Komponist, der gegen die Nazis anschrieb, genauso wie als Film-Komponist und als Komponist der Bühnenmusiken für Brecht wie als Komponist der DDR-Nationalhymne immer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Da sich Hanns Eisler ein Denkmal wie die Nationalhymne geschaffen hat, ist dieses Ansehen nach seinem Tod nicht sofort erloschen. Ein ganzer Staat hat sich mit dieser Hymne identifiziert, deswegen lebte Eislers Ruhm nach seinem Tod weiter. Es führte jedoch auch dazu, dass Eisler sehr einseitig rezipiert wurde. In der DDR ist Eisler auf bestimmte Werkgruppen festgelegt worden. Viele Werkteile wurden in der DDR überhaupt nicht gespielt und gar nicht aufgeführt. Unter Anderem das volkstümliche Werk und das atonale Werk, das Eisler als Schüler von Schönberg, aber auch im Exil komponiert hat, fand in der DDR keine Beachtung.

RALPH KRÜGER: Das wurde also gar nicht gespielt?

FRIEDERIKE WISSMANN: Gar nicht! Hanns Eisler hatte ja auch am Anfang der 1950er Jahre versucht, auf die ästhetische Programmatik der DDR einzugehen. Es gab ja unendliche Formalismus-Debatten, und Hanns Eisler hatte versucht, diesem Ideal mit einer neuen Einfachheit zu entsprechen. Das sind die Kompositionen, die heute am wenigsten beachtet werden.

RALPH KRÜGER: Das sind die so genannten „Neuen Deutschen Volkslieder“.

FRIEDERIKE WISSMANN: Genau. Darunter gibt es auch durchaus schöne Sachen wie zum Beispiel „Armut sparet nicht noch Mühe“. Es gibt aber auch Sachen, bei denen man das Gefühl hat, dass bei Eisler das politische Programm vielleicht etwas stärker wiegt als der ästhetische Anspruch. Es gibt auch Kompositionen, zu denen ich mich distanziert verhalte, und das sind nicht nur DDR-Kompositionen, es gibt auch welche aus den 30er Jahren, bei denen man merkt, dass sie sehr schnell entstanden sind. Dann gilt es als Musikwissenschaftler auch, den richtigen Blick dafür zu haben und zu sehen, wie das hier mit dem Kontext und dem Werk zusammen geht.

RALPH KRÜGER: Ich finde besonders Ihren Ansatz ganz spannend, mit dem Sie an dieses Bucch gegangen sind, nämlich dass Sie sagen, ich schreibe jetzt keine reine Biografie und auch keine reine musikwissenschaftliche Abhandlung übere Hanns Eislers Werk, sondern ich möchte einmal versuchen, beides gegenüber zu stellen. Das ist auch sehr schön gelungen. Allerdings würde ich gerne dem verrlag eine Empfehlung geben. Noch schöner und für den Laien besser verständlich wäre Ihr Buch, wenn man vielleicht eine CD mit Hörbeispielen beilegen könnte.

FRIEDERIKE WISSMANN: Mein Vorhaben war es ursprünglich, ein Internetportal zu diesem Buch einzurichten, wie es das ja auch schon zum Teil auf dem Buchmarkt gibt. ich war auch sicher, dass wir das auch machen. Was die CDs betrifft, da sagt der Verlag, nein, die werden geklaut und fliegen raus usw. CD-Beilagen sind schwierig. Mein Vorhaben war es, ein Internetportal zu errichten. Ein gegenargument war, dass man die Stücke von Eisler relativ leicht bekommt. In diesem Punkt sind wir beide also absolut d’accord. Ich hatte schon alles bereit und dachte, genau die Werke, die ich bespreche, auf Mausklick hörbar zu machen. Vielleicht kann man so etwas auch im Nachhinein noch mal machen, falls sich das Buch ganz gut verkauft.

RALPH KRÜGER: Das werde ich gern anregen.

FRIEDERIKE WISSMANN: Vielen Dank. Aber ich kann ja noch einmal etwas zu dem Konzept meines Buches sagen, das Sie soeben ansprachen. Es ist immer gut, wenn man über einen Komponisten schreibt, dass man sich nicht nur über sein Privatleben äußert, sondern dass man schaut, wie das ästhetische Konzept dieses Menschen war. Und ich dachte gerade bei Eisler, der so oft unter einem Label gelaufen ist – sei es „Nationalpreisträger“, sei es „Arbeiterchor-Komponist“ -, dass es da schön wäre, einmal den Komponisten in den Vordergrund zu stellen und von diesem Komponisten ausgehend sich anzuschauen, was sich alles so drum herum rankt. Das wird nicht weniger schillernd dadurch, aber man hat so ein bisschen die Prioritäten verschoben. Ich fand es auch wichtig, nicht immer den Komponisten an diesen vorgefertigten Dingen zu messen und zu gucken, wie war der Weg dahin; sondern wenn man von den Kompositionen ausgeht, dann hat man die Kontexte. Dann hat man Eisler Positionierung. Bei Eisler verschwimmen Werk und Leben sehr oft miteinander.

RALPH KRÜGER: Sind selbst sind ja Musikwissenschaftler. Wie haben Sie sich dem Thema Hanns Eisler genähert? Stand zunächst die Musik im Vordergrund und war dann der Wunsch vorhanden, auch den Menschen Hanns Eisler näher kennen zu lernen? Oder wie war Ihr Zugang zu Hanns Eisler?

FRIEDERIKE WISSMANN: Ich habe viele Jahre bei der Gesamtausgabe der Musik Hanns Eislers gearbeitet. Wenn Sie an einer Gesamtausgabe arbeiten, dann sitzen Sie inmitten dieser ganzen Materialien. Es gibt ein Hanns-Eisler-Archiv in der Akademie der Künste. Weil Eisler in der DDR so wichtig war, ist dieses Archiv auch sehr gepflegt und nach der Wende übernommen worden. Es ist also relativ vollständig, was wir nicht bei vielen Komponisten haben. Und ich saß also an dieser Gesamtausgabe und hatte dauernd mit den Briefen von Eisler zu tun, die Sie auch zu Datierungsfragen brauchen. Wenn Sie ein Werk besprechen, müssen Sie auch das Datum bestimmen können und klären, wie es mit der Besetzung aussieht usw. Wenn man unterschiedliche Fassungen eines Werkes hat, fragt man sich, warum es z.B. bei den „Rundköpfen und den Spitzköpfen“ eine Fassung für zwei Klaviere gibt? Wen interessieren zwei Klaviere auf der Bühne? Wenn man sich dann darein gräbt, sieht man: Okay, Eisler war in Europa verfemt, und in Dänemark, wo die Umsetzung uraufgeführt ist, nur um ein Beispiel zu nennen, hatte man auch Angst davor, Eisler ganz öffentlich auf eine Bühne zu stellen. Deswegen sind die damals in ein kleines Theater gezogen…

RALPH KRÜGER: Das waren also jene kleinen Privatvorstellungen, die Eisler in seiner Zeit des Exils mit Brecht in Dänemark veranstaltet hatte.

FRIEDERIKE WISSMANN: Genau, das ging damals gerade noch. Aber um zu Ihrer Frage zurück zu kommen: Das ist nur ein Beispiel dafür gewesen, wie ich auf die Idee zu diesem Buch kam. Man hat da solch eine Partitur vor sich und fragt sich, was das mit den zwei Klavieren auf sich haben könnte, und so kommt man in die Geschichten hinein. Gerade bei diesem Komponisten fand ich es sehr aufregend, von den Materialien auszugehen und zu graben…

RALPH KRÜGER: Bei der Lektüre habe ich mir auch oft überlegt, wie ich dieses Buch über Eislers Leben und Werk für mich selbst greifbarer und sichtbarer mache. So bin ich relativ schnell bei einem Zeitstrahl gelandet, was ja bei einer Biografie auch nahe liegend ist. Und hier habe ich die wichtigsten Lebensstationen und die von Ihnen beschriebenen beispielhaften Werke Hanns Eislers auf dem Zeitstrahl markiert. Hierbei fiel mir auf, wie viele Bruchstellen es in Eislers Leben gab. Um Eislers Leben und Werk auf einen kurzen Begriff zu bringen, würde ich als Laie, sehr stark verdichtet und ganz platt formuliert, vielleicht sagen, dass Eisler den Soundtrack zur kommunistischen Revolution gemacht hat.

FRIEDERIKE WISSMANN: Das ist schon ganz treffend formuliert.

RALPH KRÜGER: Diese starke Verbindung zum Kommunismus hat ja auch einen Ursprung. Sie beschreiben es ja auch in Ihrem Buch, und im Grunde fängt es ja gleich mit Eislers Herkunft an. Er stammt ja aus einem gutbürgerlichen Mileu, sein Vater war Philosoph. Aber Eislers Mutter war eine Fleischerstochter oder wie Eisler gerne betonte, eine „Arbeiterin“. Arbeiterin klingt natürlich in einem kommunistischen oder sozialistischen Kontext besser als Fleischerstochter… War dadurch nicht schon beim Kind und dem Jugendlichen eine gewisse Prägung entstanden? – Sie waren während Ihrer Forschungsarbeiten der Person Hanns Eislers sehr nahe. Gibt es vielleicht Selbstzeugnisse, die diese Vermutung belegen könnten?

FRIEDERIKE WISSMANN: Am Ende seines Lebens hat Eisler selbst Ahnenforschung betrieben, das erzählt sein Sohn Georg Eisler. Seinen Vater behandelte Hanns Eisler mit höflichem Respekt, aber auch nicht viel mehr, und die Mutter stilisierte er hoch zu ich-weiß-nicht-was. Man merkt aber auch, dass das Programm ist bei Eisler, das DDR-Programm. Dass er natürlich seine Herkunft als Arbeitersohn besonders betont. Sie wissen ja, auch Brecht hatte immer wieder Schwierigkeiten, weil er halt nicht als dazu gehörig angesehen wurde, sondern die Bourgeoisen waren irgendwie „angelernte Arbeiter“. Und Eisler wollte ganz deutlich machen, dass er wirklich Arbeiter sei, was er natürlich niemals war. Wenn Sie sich die Bibliothek anschauen, die Eisler zeitlebens zur Verfügung hatte, die hatte keiner sonst aus diesem Milieu.

RALPH KRÜGER: Das ist mir schon klar, aber dieses späten Aufzeichnungen Hanns Eislers sind ja ein sozusagen gefiltertes Selbstzeugnis.

FRIEDERIKE WISSMANN: Ein manipuliertes Selbstzeugnis, sagen wir das ruhig.

RALPH KRÜGER: Ich fände es aber spannend, wie es wirklich in Eislers Kopf aussah. Er ist ja in Verhältnissen aufgewachsen, die eher bürgerlich geprägt waren als durch soziale Verwerfungen, von denen man unmittelbar selbst betroffen ist. Wie wird man dann Kommunist?

FRIEDERIKE WISSMANN: Durch den Bruder Gerhart. Er hatte ja einen großen Bruder, und der kleinere Bruder lässt sich oft von dem großen beeinflussen. Und Gerhart Eisler war zeitlebens politisch hoch engagiert. Ganz anders als Hanns Eisler, nicht mehr oder weniger, sondern anders als Hanns Eisler.

RALPH KRÜGER: Der Bruder ist ja auch später in einer hohen Position bei der KPD gelandet.

FRIEDERIKE WISSMANN: Ja, allerdings, aber wirklich ranghoch! Und dieser große Bruder hat das schon zu Schulzeiten in Wien nach Hause getragen. Er hatte eine kommunistische Schülerzeitung gegründet, und Hanns Eisler ist dann so eingestiegen. Es gab damals die Debattierclubs auch bei Gerhart Eisler, die waren hoch politisiert. Hanns Eisler beschreibt die eher von der literarischen Seite und schreibt, wie er mit Morgenstern in Kontakt kommt. Daran sieht man schon, dass Hanns Eislers Ansatz etwas künstlerischer ist. Aber bei Gerhart Eisler ist diese politische Ausrichtung ganz klar. Und auch die Schwester Elfriede ist ja zunächst in diesem Eisler-Clan links ganz deutlich positioniert. Ihre Parteinummer ist die Nummer eins. Die Familie Eisler ist kommunistisch ausgerichtet. Seinen Vater sieht Eisler im Nachhinein als jemanden, der eher sozialdemokratisch, aber vor allem liberal bestimmt war. Hanns Eisler hat in den wenigen Sätzen, die er zu seinem Sein als Jude sagt, gezeigt, dass er das Liberale an seinem Vater sehr schätzte. Mit seinem Judentum jedoch setzt sich Eisler erstaunlich wenig auseinander. Gerade auch in den späten Jahren, wo er sich auf Ahnenforschung begibt, war ich erstaunt, dass da nichts kam, wobei doch seine jüdischen Vorfahren hoch spannend waren. Aber Hanns Eisler selbst ist da nicht besonders eingestiegen. Trotzdem hatte es ihn natürlich extrem beeinflusst, weil es das Milieu ist, aus dem er stammt, und weil er natürlich als Verfolgte von den Nazis noch ganz anders in den Blick genommen wurde. Also so kommt Eisler zu seiner politischen Überzeugung. Interessant ist vielleicht in diesem Zusammenhang Eislers Bruch mit dem Schönberg-Kreis und seine Entscheidung, nicht auf die Seite der Avantgarde und der L’art-pour-l’art-Künstler zu schwenken. Schönberg hatte diesen Bruch als Jugendsünde Eislers abgetan, und Eisler war tief gekränkt, weil er sich missverstanden fühlte von seinem Lehrer und sagte: Nein, das ist keine Jugendsünde, sondern das ist schon meine Aufgabe, die ich in meinem Komponieren sehe. Das ist schon interessant, dass diese Jugendsünde keine war, sondern tatsächlich seine Überzeugung. Bei allen politischen Verzweigungen seines Weges ist Eisler von seiner kommunistischen Einstellung und seinem Marxismus nie mehr abgerückt, sondern er ist diesen Idealen treu geblieben. Was in der DDR dann passierte, hat er auch nicht unter dem Begriff Kommunismus subsummiert, sondern unter Bürokratie und Engstirnigkeit. – Wenn ich mir Ihren Zeitstrahl anschaue, dann konnte man eigentlich an jedem Punkt einhaken, weil die alle so brisant und spannend sind. Für jede Zeit stehen auch bestimmte musikalische Werke. Eisler hatte immer gesagt, dass er etwas abliefern wolle. In den frühen Jahren sind das natürlich die Sachen mit Brecht auf der Bühne, und er wollte damit so viele Menchen erreichen und auch begeistern.

RALPH KRÜGER: Dann kam auch die erste Filmmusik für den Film „Kuhle Wampe“…

FRIEDERIKE WISSMANN: Ja, natürlich auch das. Diese Filmmusik war ganz wichtig, denn hätte er „Kuhle Wampe“ nicht gemacht, hätte er später in Hollywood nicht in dieser Souveränität andocken können. Er kannte dadurch schon die ganzen Techniken. Bei „Kuhle Wampe“ schreibt er ganz stolz vorne auf die Partitur „Tonfilm“. Diese Errungenschaften kannte Eisler und ist auch damit umgegangen. Das finde ich auch bemerkenswert. Es gibt ja viele Künstler, die in einem bestimmten Mileu bleiben und sich eher von den technischen Errungenschaften distanzieren. Das war bei Eisler nicht so. Der wollte wissen, was gibt’s auf dem Markt und wie können wir damit arbeiten?

RALPH KRÜGER: Mit der elektronischen Musik ist Hanns Eisler nicht mehr in Berührung gekommen?

FRIEDERIKE WISSMANN: Er hat die Anfänge der elektronischen Musik wohl schon mitbekommen, aber er hat sich auch nicht besonders dazu geäußert. In den späten Fünfziger Jahren gab es schon eine ganze Menge erster Versuche. Aber zu dieser Zeit hatten wir auch diese klare West-Ost-Teilung, die doch relativ deutlich war. Man distanzierte sich vom Westen. Auch das ästhetische Programm unterlag in der DDR den politischen Vorgaben. Was Eisler zur elektronischen Musik gesagt hatte, war deshalb nicht besonders weitsichtig. Aber das muss man auch relativieren. Ich schreibe ja auch über Hanns Eisler als Revolutionär und auch als intellektuellen Revolutionär. Ich meine mit Revolutionären ja nicht nur die Straßenkämpfer. Da muss man auch sagen, das sind die letzten Jahre. In den letzten Jahren nach dieser „Faustus“-Debatte war Eisler auch schon ganz schön mitgenommen. Ich erwähne ja auch in meinem Buch, dass Eisler ein Quartalssäufer war. Es gab einfach Phasen, in denen Eisler überhaupt nicht mehr so richtig im Alltag präsent war… Er war schon oft sehr frustriert und aufgeraucht in dieser Zeit.

RALPH KRÜGER: Er hatte ja auch ein sehr bewegtes Leben geführt und führen müssen, was sicherlich nicht spurlos an ihm vorüber gegangen ist…

FRIEDERIKE WISSMANN: Das erklärt dieses Verhalten natürlich. Er war eben auch schon sehr müde und auch krank. Deswegen war er vielleicht auch nicht mehr so offen. Erschreckend ist tatsächlich, was Eisler zum Mauerbau gesagt hat. Das muss man ja auch nicht beschönigen, dass Eisler den Mauerbau befürwortet hatte. Es gibt Eisler-Forscher, die mit mir nicht darüber sprechen. Ich finde es aber sehr wichtig zu zeigen, wie Eisler als Mensch reagierte auf diese wirklich schwierigen Zeiten und dass er auch immer pro DDR gestanden hat, allein schon aus dem historischen Kontext heraus. Er war so oft auf der Flucht und in lebensbedrohlichen Situationen gewesen, dass er wahrscheinlich gedacht hat, die DDR wäre das geringere Übel. Aber er hat intern auch immer deutlich Kritik geäußert. Die DDR hat er nach außen hin verteidigt, aber nach intern ganz deutlich gemacht, dass Engstirnigkeit um sich greift.

RALPH KRÜGER: Gerade die frühe DDR betrachten wir aus unserer heutigen Zeit immer wie durch einen Rückspiegel, und da ist es natürlich leicht zu urteilen und zu verurteilen. Genauso werden wir, wenn wir jetzt hier sitzen und übeer unsere aktuelle politische Situation sprechen, wahrscheinlich zu ganz anderen Einschätzungen kommen, als wenn wir in – sagen wir – zwanzig Jahren unsere Gegenwart im Rückblick beurteilen werden. Aber Sie sagten ja schon, dass sich Eisler intern durchaus auch kritisch zu den Verhältnissen in der DDR geäußert hatte.

FRIEDERIKE WISSMANN: Ja, das hatte er in der Tat. Ich hatte ja auch Gespräche mit Gisela May, weil ich als West-Autorin dachte, dass es wichtig ist, auch die Stimmen, die es im Osten gibt, in meinem Buch zu Gehör zu bringen. Gisela May machte mich noch einmal nachdrücklich darauf aufmerksam, dass Eisler ja auch ein Mensch gewesen ist und nicht nur ein Künstler und Genius, wie wir ihn ja meistens sehen. Der ist einfach auch Ende der Vierziger Jahre aus Amerika geflohen und rausgeschmissen worden, kriminalisiert worden. Dem reichte es einfach auch irgendewann. In der DDR hatte er gute Möglichkeiten, dort war er Professor und ist hofiert worden. man kann natürlich und zurecht kritisch sagen, wollte er die Missstände nicht sehen oder hätte er das nicht deutlicher artikulieren können? Aber da ist eine gewisse Positionierung pro DDR nach außen hin verständlich gewesen, weil auch das NS-Regime natürlich nicht spurlos an ihm vorbei gegangen ist. Das lag ihm noch im Nacken. Auf all diese Dinge hat mich Gisela May in unseren Gesprächen mit Nachdruck aufmerksam gemacht. Da wurde es mir noch einmal besonders klar. Wir tun immer so, als hätten wir es mit abstrakten Künstlern zu tun, aber die waren auch Menschen und hatten ein Privatleben und alles.

RALPH KRÜGER: Wo wir gerade beim Privatleben angekommen sind: Was mir bei Eisler aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass er drei Mal verheiratet war, aber dass alle drei Ehefrauen auch untereinander Kontakt pflegten und sich wohl auch recht gut verstanden. Eine ähnlihe Co-Alliance gab es auch bei Karlheinz Stockhausen, über den im vergangenen Herbst eine schöne Biografie erschienen ist. Da habe ich ich gefragt, wie machen die Musiker das? Ist das eine Spezialität von Komponisten, haben die ein Geheimrezept?

FRIEDERIKE WISSMANN: Na, das hat noch eine andere Couleur. Bei Eisler ist es noch anders, das merkt man vor allem bei einem Blick auf die Korrespondenz. Die Lou war wohl die Charismatischste von den dreien. Die war selbst auch künstlerisch sehr begabt, hat auch Drehbücher geschrieben und kam wohl in der Ehe mit Hanns Eisler nicht so recht zum Zuge. Die ist nachher zu Ernst Fischer gegangen, der Literaturwissenschaftler, Essayist und Literaturkritiker war. Mit dem hat sie zusammen gearbeitet. Die haben dann einen Dialogroman, den „Prinz Eugen“ gemacht, und da konnte sie sich besser entfalten. Bei Eisler musste sie nur Termine koordinieren und zusehen, dass die Gesellschaften abends nett verliefen. Das ging nicht mehr für sie. – Sie hatte den Ernst Fischer getroffen in einer politisch brisanten Situation, dann hatten die beiden sich schwer ineinander verliebt, da war nichts mehr zu machen. Eisler war extrem tolerant und souverän, er hat das akzeptiert, obwohl er ja auch mit Ernst Fischer befreundet war. der hat die ziehen lassen, und es war für ihn bestimmt schwer. Aber manchmal habe ich bei der Lektüre gedacht, die haben solch schwere andere Sachen erlebt, da ging’s um Leben und Überleben, so dass die vielleicht ihre Privat- und Liebesgeschichten für nicht so relevant gehalten haben und sich selbst auch nicht so sehr. Trotzdem hatte es Eisler natürlich auch verletzt, weil er erst einmal einsam war danach, bevor er Steffy kennen gelernt hatte. Er hat sich auch gehen lassen. Das hat Gisela May mir auch erzählt, wie err sich hatte gehen lassen. Der war schon schwer traurig, aber er hat ihr das nicht übel genommen und war nicht kleinkariert. Und die Frauen eben auch nicht.

RALPH KRÜGER: Die haben dieses Verhalten Eislers damit honoriert, dass sie den Kontakt zu ihm gehalten haben.

FRIEDERIKE WISSMANN: Genau. Die Lou und Steffy, seine letzte Lebenspartnerin, haben das auch in der Öffentlichkeit ganz deutlich gemacht, indem sie zusammen auftraten. – Eisler hatte schwer begabte Fauen um sich, die sein Tun auch wirklich nachvollziehen konnten. Aber Eisler war von einem Emanzipationsdenken geprägt, das im Ansatz stecken geblieben ist. Intellektuell ist alles schon da, und es ist auch klar, dass Frauen das auch alles können, aber im Alltag eben nicht. Im Alltag fuhrt die Lou den Hanns zu seinem nächsten Termin, und Steffy Wolf war Pianistin und eine begabte Musikerin. und so war es dann klar, dass sie die „Frau Hanns Eisler“ wurde. Es wäre ja auch ein anderer Weg denkbar gewesen, aber in dieser Generation war das noch nicht so weit verbreitet. Eisler selbst tönte ja, dass seine Mutter, die Arbeiterin, die Begabteste von allen gewesen wäre usw. usf. – Die hätte man ganz anders fördern müssen, sagt er, und mit Blick auf seine Ehefrauen dachte ich dann manches Mal, aha, da wäre deine Gelegenheit gewesen, das zu tun…

RALPH KRÜGER: Sie haben ja schon gesagt, dass Sie die Idee zu diesem Buch hatten, als Sie an der Gesamtausgabe mitgewirkt hatten. Wie sind Sie jetzt konkret an dieses Buchprojekt heran gegangen?

FRIEDERIKE WISSMANN: In der Gesamtausgabe habe ich am „Johann Faustus“ gearbeitet. Und dieses Libretto ist ein Text, für den Eisler sehr scharfe Kritiken eingefahren hatte. Er wurde vor die Akademie zitiert, im Neuen Deutschland, der heimlichen Parteizeitung, wurden böseste Kritiken veröffentlicht, die in feiger Weisemit „Die Redaktion“ unterschrieben waren. Ich habe mir immer gedacht, es gibt zwar diese monströsen Debatten, warum spricht keiner über das Werk? Was ist eigentlich ästhetisch an dem Werk so fragwürdig? Hierbei sah ich, dass Eisler in dem Text genauso verfährt wie bei seinen Kompositionen, nämlich dass  er montiert. Aus den verschiedensten Zeiten und Fakturen. Da dachte ich, dieses Verfahren kenne ich doch aus seinen Kompositionen… Bei der Komposition der Texte benutzte er also genau dasselbe Verfahren wie bei seinen Kompositionen, das Verfahren der Montage, das er einst aus dem Filmbereich übernommen hat. Bei dieser Montagetechnik habe ich bemerkt, wie verschiedene Epochen in einem Werk zusammen geschnitten sind, und dachte, das genau dies das eigentlich Spannende an Eisler ist: dass man in seinem Werk diese ganzen unterschiedlichen Gattungen hat und dass man seinen Lebensweg eben nicht anhand eines symphonischen Schaffens nachzeichnen kann, sondern lauter eigenständige Inseln aus verschiedenen Gattungen hat. Da kam bei mir der Wunsch, genau das einfach mal zu zeigen: diese ganz unterschiedlichen Arten, mit Musiken umzugehen. Dann dachte ich, dass es eigentlich schade ist, dass musikwissenschaftliche Arbeiten so oft nur in ihren eigenen Kreisen bleiben. Ich würde mit diesem Buch viel lieber an die Öffentlichkeit kommen, weil es meines Erachtens immer noch eine große Trennung zwischen musikwissenschaftlicher Forschung und der Resonanz gibt, die sie in der breiteren Öffentlichkeit hat. Die meisten Leser denken sofort, dass man abschalten kann, wenn man über Musik spricht, weil man nicht über Musik sprechen kann. Ich habe aber in meinen Konzerteinführungen die Erfahrung gemacht, dass man sehr wohl über Musik sprechen kann. Man kann Leute über die Sprache auch für Musik faszinieren und Dinge so erklären, dass ein breites Publikum dafür sensibilisiert wird. Man muss nicht an jeder Stelle und bei jedem Detail begeistert sein. Deswegen ist das Buch auch so aufgebaut, dass es immer springt zwischen dem Biografischen und dem Musikalischen. Es ist aber auch wichtig, dass man zeigt, wie das ineinander geht und dass ein Werk nicht einfach nur am Schreibtisch entsteht und ein Konzept hat. – Gerade bei Eisler fließt das Leben immer mit hinein in die Kompositionen. Wir hatten am Anfang das Beispiel mit den zwei Klavieren, aber das sehen wir bei vielen Kompositionen. Gisela May wünscht sich Tucholsky-Lieder, also setzt sich Eisler hin und schreibt zwei Tucholsky-Lieder für sie. So entstehen auch Werke, bei denen Eisler eine ganz bestimmte Interpretin im Sinn hatte, und dann schreibt er das in einer Tonlage und Melodienfolge, die für Gisela May günstig ist… Ich wollte zeigen, dass Leben und Werk eng miteinander verwoben sind. Ich wollte keine trostlose Aneinanderreihung von Anekdoten schreiben, sondern die Chance ergreifen, diesen Zusammenhang zwischen der Musik und dem Leben Hanns Eislers zu beschreiben.

RALPH KRÜGER: Sie sprachen von der Montagetechnik in den msuikalischen Kompositionen Hanns Eislers. Aber wenn man sich sein Leben so im Ganzen anschaut und die einzelnen Inseln, die Brüche und Neuanfänge betrachtet, könnte man nicht nur seine Kompositionen, sondern eigentlich auch sein als eine große Montage betrachten.

FRIEDERIKE WISSMANN: Sie haben recht! Es gibt für Menschen dieser Generation des 20. Jahrhunderts, die ständig auf der Flucht waren und niemals wirklich Wurzeln schlagen konnten, auch die passende Bezeichnung der „ambulanten Persönlichkeiten“. Eisler war ja in sdeinem Leben im Grunde auch dauernd auf der Flucht, auch über Kontinente hinweg. So gesehen, ist das Leben Eislers immer wieder von ungewollten Brüchen durchzogen und wirkt selbst wie eine große Montage.

RALPH KRÜGER: Ich bedanke mich für dieses Gespräch.

FRIEDERIKE WISSMANN: Vielen Dank.