Madeleine Rietra, Rainer-Joachim Siegel (Hg.): „Joseph Roth und Stefan Zweig – Briefwechsel 1927-1938“

Wenn zwei große Schriftsteller miteinander befreundet sind und über mehrere Jahre miteinander korrespondieren, so ist eine spannende Lektüre garantiert. Der Briefwechsel zwischen Joseph Roth und dem dreizehn Jahre älteren Stefan Zweig liest sich wie eine aus unzähligen persönlichen Erfahrungen zusammen gesetzte Collage vor dem Hintergrund der politischen und gesellschaftlichen Ereignisse der 1930er Jahre.

Dieser Briefwechsel von zweien der bedeutendsten deutschen Schriftsteller ihrer Zeit erschien jetzt im Wallstein-Verlag in einer aktualisierten Auflage der von Hermann Kesten edierten Ausgabe der Korrespondenz von 1970, die nun um einige neue Fundstücke ergänzt werden konnte.

Die Zeit des Briefverkehrs umfasst die Jahre von 1927 bis 1938. Während dieser Zeit waren beide Schriftsteller wegen ihrer jüdischen Herkunft gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und ins Exil zu gehen. Beide Autoren standen auf der Liste jener Schriftsteller, deren Werke am 10. Mai 1933 in Berlin und danach auch an vielen anderen Orten in Deutschland im Rahmen der „Aktion wider den undeutschen Geist“ auf Scheiterhaufen verbrannt wurden. Joseph Roth und Stefan Zweig flohen ins Ausland. Hier konnten sie unbehelligt arbeiten, schreiben und versuchen, ihr Leben einzurichten. Doch die rassistische Gewalt der Nazi-Diktatur hatte ihr Leben zerstört.

Über die verheerenden Folgen der Machtergreifung Hitlers machten sich beide keine Illusionen. Mit erschreckender Klarheit schreibt Joseph Roth Mitte Februar 1933 aus Paris an Stefan Zweig: „Inzwischen wird es Ihnen klar sein, daß wir großen Katastrophen zutreiben. Abgesehen von den privaten – unsere literarische und materielle Existenz ist ja vernichtet – führt das Ganze zum neuen Krieg. Ich gebe keinen Heller mehr für unser Leben. Es ist gelungen, die Barbarei regieren zu lassen. Machen Sie sich keine Illusionen. Die Hölle regiert.

Joseph Roth hielt sich während seines Exils in Frankreich, Holland und Belgien auf, aber vor allem wechselte er immer wieder zwischen Paris und Nizza hin und her. Nach 1937 verschlechterte sich seine Gesundheit dramatisch aufgrund seines starken Alkoholkonsums. Als er im Mai 1939 im Café zusammen brach und im Krankenhaus kurz danach an einer beidseitigen Lungenentzündung erkrankte, kam jede Hilfe zu spät. Er starb am 27. Mai 1939 in Paris.

Stefan Zweig floh 1934 nach Großbritannien, wo er nach dem Kriegsausbruch die britische Staatsbürgerschaft annahm. Weil die Lage in Großbritannien für ihn als „enemy alien“ schon bald zu unsicher wurde, floh er über New York weiter nach Argentinien und Paraguay, bis er schließlich 1940 in Brasilien einen Unterschlupf fand. Doch das Leben war auch für Stefan Zweig längst aus den Fugen geraten. Anfang 1942 nahm sich Zweig mit einer Überdosis des Schlafmittels Veronal in Pétropolis bei Rio de Janeiro das Leben.

Die Herausgeber Madeleine Rietra und Rainer-Joachim Siegel sind intime Kenner des Lebens und Werks von Joseph Roth. Siegel hat unter Anderem im Jahre 1995 die auch heute noch maßgebliche Joseph-Roth-Biografie verfasst. Ihnen ist es zu verdanken, dass die Ausgabe der Briefe Joseph Roths, die sein Freund und Kenner Hermann Kesten seinerzeit herausgegeben hatte, nun durch die neuen Fundstücke vervollständigt und auf diesem Wege komplett überarbeitet wurde.

Der Briefwechsel von Joseph Roth und Stefan Zweig 1927-1938 wird durch einen umfangreichen Kommentar von 150 Seiten und selbstverständlich auch durch einen konzisen Anhang mit Quellenangaben sowie einem praktischen Namens- und Ortsregister ergänzt.

Natürlich ist dieses wunderbare Werk für jeden Joseph-Roth-Liebhaber ein Muss. Aber auch wer sich für die spannende und schicksalhafte Zeit der frühen Nazi-Herrschaft in Deutschland aus der Sicht zweier Intellektueller interessiert, die durch ihre jüdische Herkunft zur Flucht gezwungen und ins Exil geschickt wurden, ist mit dieser vollständigen Ausgabe der Briefe von 1927-1938 sehr gut beraten.

 

Autor: Madeleine Rietra, Rainer-Joachim Siegel (Hg.)
Titel: „Joseph Roth und Stefan Zweig – Briefwechsel 1927-1938“
Gebundene Ausgabe: 624 Seiten
Verlag: Wallstein (Oktober 2011)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3835308424
ISBN-13: 978-3835308428