Dambisa Moyo: „Der Untergang des Westens – Haben wir eine Chance in der neuen Wirtschaftsordnung?“

Was passiert eigentlich mit uns, wenn der Euro kracht, die Afrikaner künftig noch größere und seefestere Schiffe bauen und die Chinesen noch reicher und zahlreicher werden? Haben Europa und die westliche Welt noch eine Überlebenschance? Oder geht das Abendland nun doch knapp neunzig Jahre nach seinem von Oswald Spengler prognostizierten Ende unter?

„Dambisa Moyo gehört zu den Menschen, die etwas bewegen“. So behauptet es jedenfalls der Piper-Verlag, in dem jetzt Moyos Buch vom „Untergang des Westens“ erschienen ist. Dambisa Moyo stammt aus Sambia und wurde berühmt durch ihr Buch „Dead Aid“, in dem sie, gerade sie als Afrikanerin, das Ende der Entwicklungshilfe in ihrer damaligen Form forderte. Warum? Weil sie nichts brachte und zum Großteil in dubiosen Kanälen versickerte, sprich: in die falschen Hände geriet, und nicht das erreichte, was sie erreichen sollte: helfen.

Der Bucherfolg Moyos war der Anfang einer steilen und interessanten Karriere: Sie studierte in Oxford und Harvard, wurde vom World Economic Forum zum Mitglied der „Young Global Leaders“ ernannt, lebt jetzt in London, ist Schirmherrin von „Absolute Return for Kids“ (ARK), einer Wohltätigkeitsorganisation, Vorstandsmitglied der „Lundin for Africa Foundation“ (LFA) und seit 2010 Mitglied des „Board of Barclays“. Den endgültigen Ritterschlag erhielt sie jedoch vielleicht vom amerikanischen Times-Magazine, das sie zu den 100 wichtigsten und einflussreichsten Menschen der Welt zählt.

Dambisa Moyo ist eine junge Afrikanerin, sie ist erfolgreich, extrem gut ausgebildet und hat einen sehr guten Einblick in beide Welten, die des Westens und des Südens. Dadurch kann und darf sie in ihrem neuen Buch ihre Sicht auf die möglichen Entwicklungen, auf die Chancen und die Gefahren eines neuen politischen und ökonomischen Gleichgewichts in der Welt darlegen.

„Amerika und der Westen können es sich langfristig nicht leisten, Hüter und Zahlmeister der Welt zu sein.“ Das klingt ein bisschen nach Stammtisch und auch nach konservativen Positionen in der westlichen Politiklandschaft, doch die Autorin ist vor allem Wirtschaftswissenschaftlerin und schaut einfach auf die Zahlen und die Fakten. Und die sprechen eine klare Sprache: Der Westen übernimmt sich finanziell und schiebt dabei seinen Karren immer weiter auf das Abstellgleis. Der Westen produziert immer weniger und lässt lieber Niedriglohnarbeiter in der Dritten Welt für sich arbeiten. Ihm, dem Westen, geht es nur noch ums Geld, und am liebsten machte er nur noch Geld aus Geld, so die Autorin. Das kann nicht mehr lange gut gehen, das zeigen nicht erst die Finanzkrise von 2008, die horrende Überschuldung der Staatsfinanzen in den USA und die aktuelle Staatsschuldenkrise in Europa.

Nur weil etwas nicht gleich gegen die Wand fährt, sondern Jahrzehnte, ja Jahrhunderte lang gut ging, bedeutet das noch lange nicht, dass es immer so weitergehen muss. Kurz: Der Kapitalismus westlicher Spielart ist ein Auslaufmodell. Der Westen wirtschaftet und lebt auf Kosten anderer Teile der Welt, und gleichzeitig fühlt er sich in seiner Führungsrolle als Weltpolizist und Entwicklungshelfer bestätigt. Diese Bestätigung funktioniert jedoch immer mehr durch Selbstsuggestion und nicht durch reale Erfolge. Die Demokratisierungsbemühungen des Westens in Afghanistan, dem Irak und in Nordafrika, die jene Länder durch Waffengewalt oder durch soziale Netzwerke auf Demokratisierung kämmen wollten, sind kaum auf Gegenliebe gestoßen. Das entstandene Machtvakuum wurde schnell von fundamentalistischen und erzkonservativen Kräften gefüllt, die alles andere als demokratiefreundlich sind. Doch zurück zur Weltwirtschaft.

Warum geht der Westen demnächst unter? Weil er auf Pump lebt und die Produktion von Schulden als systemimmanenten Treibstoff für die Ankurbelung seiner Wirtschaft verwendet. Es werden massenhaft Schulden gemacht, um Investitionen zu fahren, die neue Arbeitsplätze, Infrastruktur und Absatzmärkte bilden sollen, die ihrerseits binnen kurzer Zeit zu einem ROI (Return of Investment) führen sollen, der das Rückzahlen der Schulden zu einer leichten Übung machen soll. Oder man lässt die Sache mit den Arbeitsplätzen und den Absatzmärkten gleich ganz sein und beschränkt sich auf die wundersame Geldvermehrung an den Börsen. Hierbei produziert Geld, das eigentlich gar nicht vorhanden ist, anderes Geld, das dann als Reingewinn verbucht werden kann.

Alle wissen, dass es so nicht weiter gehen kann, doch alle Verantwortlichen schieben den Schwarzen Peter der Verantwortung auf den anderen: Die Politiker sagen, die Banker sind schuld, aber man dürfe die Märkte nicht weiter durch neue strengere Gesetzesauflagen beunruhigen. Die Banker fühlen sich schon durch die Diskussion über eine mögliche Finanztransaktionssteuer in ihrer Ehre gekränkt und in ihrem täglichen Arbeitspensum derart behindert, dass es für sie kaum noch möglich ist, zu arbeiten. Und so geht alles weiter wie bisher. Die nächste Blase wird noch größer als die letzte sein, aber sie wird nicht die letzte sein.

Dambisa Moyo weiß das alles, und sie versucht in ihrem Buch einen klaren Blick auf die großen Zusammenhänge zu werfen – ein Unternehmen, das meist im Tagesgeschäft der politischen Baustellen an Europas Höfen verloren geht. Die Autorin schaut jedoch ganz genau hin und zieht ruhig Bilanz. Und diese Bilanz sieht für den Westen gar nicht gut aus.

Es liegen in Europa nicht nur die wirtschaftlichen Zustände im Argen, auch die Bevölkerung des Westens schwindet immer schneller. Immer weniger Europäer stehen immer mehr Asiaten, Indern und Afrikanern gegenüber. Doch anstatt die Zuwanderungsbeschränkungen zu lockern, um wenigstens das völlig marode und kippende Rentensystem in den europäischen Staaten durch den massenhaften Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte teilweise auszugleichen, macht Europa genau das Gegenteil: Es schottet sich immer mehr ab, versucht, die Boat People vor Lampedusa zurück nach Afrika zu bringen und hat Angst vor Überfremdung. Keineswegs ist dies nur ein deutsches Problem, Ausländerfeindlichkeit ist weit verbreitet.

Wenn der Westen nichts unternimmt und seinen Kurs nicht sehr schnell ändert, gibt es Krieg. Der muss gar nicht immer nur mit Waffen ausgetragen werden. Viel wahrscheinlicher wird es ein Wirtschaftskrieg der leisen Art sein, ein Machtwechsel von West nach Ost, und ein Schlagabtausch zwischen dem „Yin des Westens und dem Yang der Schwellenländer“, wie Dambisa Moyo es in ihrem interessanten Buch nennt.

Am Ende ihres Buches entwirft die Autorin vier verschiedene Szenarien für die Welt von Morgen. Welches dieser Szenarien eintritt oder ob es eine ganz andere Entwicklung geben wird, bleibt natürlich offen. Aber es liegt nicht zuletzt an uns selbst, an den westlichen Industrienationen, wie wir mit den Erkenntnissen, die dieses aufwühlende Buch liefert, umgehen und was für Schlüsse wir daraus für die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunft Europas ziehen.

Auf jeden Fall bleibt es spannend. Die Zeit der Krisen hat gerade erst begonnen. Wie wir mit den neuen Rahmenbedingungen umgehen, entscheidet darüber, ob die westliche Welt, wie wir sie kennen, überleben oder untergehen wird.

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Autor: Dambisa Moyo
Titel: „Der Untergang des Westens – Haben wir eine Chance in der neuen Wirtschaftsordnung?“
Gebundene Ausgabe: 304 Seiten
Verlag: Piper
ISBN-10: 3492053769
ISBN-13: 978-3492053761