Wer bei Cyrano de Bergerac nur an die lange Nase denkt und vor seinem geistigen Auge Gérard Depardieu in dem schönen Mantel- und Degenfilm („Cyrano von Bergerac“) aus dem Jahr 1990 sieht, liegt nicht ganz falsch. Aber Savinien Cyrano de Bergerac lediglich als einen gekonnt mit dem Degen fuchtelnden Frauenheld zu sehen, wird seinem Leben und Werk in keiner Weise gerecht.
Man weiß nicht sehr viel über Cyrano de Bergerac, und was man weiß, ist lückenhaft und aus sich oft widersprechenden Quellen gespeist. Sicher ist jedoch, dass er dem Pariser Bürgertum entstammte, also kein Adliger war, am 6. März 1619 geboren wurde, gut mit dem Degen umgehen konnte und am 28. Juli 1655 mit nur 36 Jahren starb.
Er wurde als Mitglied der Gascogner Garden in Ostfrankreich während des Dreißigjährigen Krieges schwer verwundet, litt wahrscheinlich auch an der Syphilis und verbrachte die letzten Monate seines Lebens in der pflegerischen Obhut der „Gemeinschaft des Allerheiligsten Altarsakraments“, religiösen Fanatikern, die ihn immer wieder zum wahren Glauben zu bekehren versuchten. Am Ende seines Lebens schaffte es Cyrano, den unaufhörlichen Bekehrungsversuchen zu entkommen und sich zu seinem Cousin Pierre de Bergerac zu flüchten, wo er nur fünf Tage später starb.
Weniger bekannt ist aber, dass Cyrano de Bergerac auch ein bekannter Literat und bekennender Libertin war. Ein Libertin zu sein, war in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine gefährliche Sache. Es bedeutete, die unumschränkte Macht der Kirche und ihren Machtanspruch auf die Deutungshoheit aller theologischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse in Frage zu stellen.
De Bergerac war ein Bewunderer und Anhänger des Philosophen und Freidenkers Pierre Gassendi. Gassendi stand auch mit Galileo Galilei in Briefkontakt, und als Galilei 1633 vor der Inquisition stand und seine Schriften zur Astronomie öffentlich widerrufen musste, um dem Scheiterhaufen zu entgehen, hatte dieser Prozess auch einen stark dämpfenden Einfluss auf die freiheitlichen Bestrebungen der französischen Libertins um Gassendi.
Ein Infragestellung des anthropozentrischen Weltbildes und die Ausformulierung anti-theologischer, freidenkerischer Ideen in Natur- und Geisteswissenschaften sollte für die nächste Zeit nur noch im Verborgenen möglich sein, völlig zurückdrängen konnte die katholische Kirche jene neuen Erkenntnisse und Ansichten durch den inquisitorischen Schauprozess gegen Galilei jedoch nicht mehr.
Cyrano de Bergerac schrieb zwei, vielleicht sogar drei zusammenhängende Erzählungen, die sich in literarischer Form genau mit diesen Themen beschäftigten. „Die Reise zum Mond“ und „Die Reise zur Sonne“, die nur noch als Fragment existiert, sind vielleicht die ersten beiden Teile einer geplanten Trilogie, deren dritter Teil jedoch komplett verschollen ist. Die Erzählungen erschienen erst nach de Bergeracs Tod.
Das Anliegen der hier vorliegenden Ausgabe ist es, dem Leser erstmals eine vollständige, der heutigen Quellenlage entsprechende Übersetzung beider Romane Cyranos zur Verfügung zu stellen. Die Erzählungen zeugen von einem versierten Autor, der sein Handwerk versteht. Die Geschichten sind spannend und ideenreich verfasst, und die Lektüre fällt leicht dank Wolfgang Tschökes hervorragender Neuübersetzung in zeitgemäßem Ton.
Bei aller Unterhaltsamkeit der Geschichten und der Einstreuung manch burlesker Satiren sollte der Leser jedoch nicht die ernste Absicht und den geschichtlichen Kontext vergessen, in dem die Romane verfasst wurden. In Bergeracs Romanen begrüßen sich die Lunarier, die Mondbewohner, untereinander mit dem Ausruf: „Songés à librement vivre!“ (Gedenke frei zu leben!).
Genau das wollte Cyrano de Bergerac den Lesern seiner Geschichten zurufen. Über 100 Jahre vor Immanuel Kant, plädierten bereits die französischen Libertins und mit ihnen auch Cyrano de Bergerac für die Freiheit des Geistes. Und so fordert er den Leser ganz im Sinne der Aufklärung auf, sich „seines eigenen Verstandes zu bedienen“.
Autor: Savinien Cyrano de Bergerac
Titel: „Reise zum Mond und zur Sonne“
Taschenbuch: 368 Seiten
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag
ISBN: 3423137908
EAN: 978-3423137904