Bill Bryson: „Shakespeare, wie ich ihn sehe“

In diesen Tagen kommt der Film „Anonymous“ von Roland Emmerich in die Kinos. Der unterhaltsame und gelungene Film schwelgt in lebensprallen und schönen Bildern und geht der Frage nach, wer eigentlich dieser Mensch war, den wir Shakespeare nennen. Ist er wirklich der Autor der vielen Dramen und Theaterstücke, die zum Kanon der Weltliteratur gehören und die wir mit seinem Namen verbinden – Romeo und Julia, Macbeth, Hamlet, King Lear und wie sie alle heißen.

Stammen sie wirklich aus der Feder jenes Mannes, von dem es nur einige wenige schriftliche Erwähnungen gibt, die auch noch verschieden geschrieben sind, und von dem man im wahrsten Sinne auch kein echtes Bild hat?

Oder war Shakespeare, wie es der Film „Anonymous“ nahe legt, gar nicht der eigentliche Autor dieser Werke, sondern nur ein mittelmäßiger Schauspieler am Theater, der sich als „literarischer Strohmann“ als Autor ausgab, damit ein schreibbegabter Earl sein Talent ausleben und unbeschadet jene oft gewagten Stücke unters Volk bringen konnte?

Ähnliche Fragen wie der Kinofilm stellt auch Bill Bryson in seinem wunderbaren Buch „Shakespeare, wie ich ihn sehe“. Das Buh ist nicht ganz neu, es erschien im englischen Original bereits 2007 und auf Deutsch im vergangenen Jahr, soll jedoch aus Anlass des jetzt im Spätherbst 2011 anlaufenden Kinofilms aus aktuellem Anlass kurz besprochen sein.

Bill Bryson wurde 1951 in Des Moins in Iowa geboren, hielt es aber nur bis 1977 in Amerika aus. Dann ging er nach Großbritannien und arbeitete dort mehrere Jahre für die Times und den Independent. Die Welt des untergehenden britischen Empires der späten 1970er entsprach dem Humor Brysons deutlich besser als der langweilige Mittelwesten Amerikas. 1996 startete Bryson einen erneuten Versuch, in die USA zurück zu kehren, aber es hielt ihn nicht lange dort.

Spätestens seit seinen witzigen Reisereportagen („Reif für die Insel“, „Picknick mit Bären“, „Frühstück mit Kängurus“) sowie seiner universalen Geschichte der Welt vom Urknall bis zum Weltuntergang („Eine kurze Geschichte von fast allem“) ist Bill Bryson ein Bestseller-Autor und für seinen witzigen Schreibstil berühmt, der auch schwierige Stoffe unterhaltsam und trotzdem immer fachlich gut recherchiert an den Leser bringt.

Das ist auch bei „Shakespeare, wie ich ihn sehe“ nicht anders. Man kann davon ausgehen, dass nahezu jeder von uns den Namen Shakespeare schon einmal gehört hat und ihn auch seinen wichtigsten Werken und der englischen Literatur des frühen 17. Jahrhunderts zuordnen kann.

Dann wird’s aber auch schon dünn. Denn der Mensch Shakespeare, sein Aussehen, sein Familienleben und vor allem seine Authentizität als Urheber all jener ihm zugeschriebenen Werke bleiben zu einem Großteil im Dunkeln. Geht man ganz zu den Urquellen zurück, so basiert unser Wissen über William Shakespeare auf wenigen Fakten, eigentlich zu wenigen, um eindeutige Zuordnungen zu erlauben.

Bill Bryson geht diesen Spuren nach, recherchiert und analysiert und macht sich sein eigenes Bild vom größten englischen Autor aller Zeiten. „Shakespeare, wie ich ihn sehe“ ist gleichzeitig eine Liebeserklärung an die englische Literatur und ein augenzwinkernder Ausflug in die Welt der Shakespeare-Forschung.

Mit dem Autor reist der Leser in die Welt um 1600 und erfährt, wie man im Zeitalter Shakespeares in London lebte. Zweihundert Seiten später ist man schlauer und weiß jetzt ganz genau, das man eigentlich nicht viel weiß, was man vielleicht schon vor der Lektüre wusste, aber das macht alles nichts, denn man hat sich gut amüsiert und konnte dank des eloquenten Reisebegleiters Bryson eine Menge über Shakespeare und seine Zeit lernen, womit man auf der nächsten Party brillieren kann, wenn andere Leute gerade von jenem Film berichten, der gerade in den Kinos angelaufen ist,  „Anonymous“, in dem der Frage nachgegangen wird, ob Shakespeare wirklich der Autor all jener Werke ist, die ihm zugeschrieben werden, oder ob er vielleicht nur (…), siehe Anfang.

„Shakespeare, wie ich ihn sehe“ ist ein wunderbar unterhaltsames Buch, das nicht nur die Freunde guter Literatur begeistern wird, sondern alle, die sich auf amüsante Weise ein Bild von jenem Genie machen wollen, das wir unter dem Namen Shakespeare kennen.

Autor: Bill Bryson
Titel: „Shakespeare, wie ich ihn sehe“
Taschenbuch: 208 Seiten
Verlag: Goldmann Verlag
ISBN-10: 344247275X
ISBN-13: 978-3442472758