Wells Tower: „Alles zerstört, alles verbrannt“

Man erweist einem Autor einen Bärendienst, wenn man in den Klappentext schreibt: „Dieser Autor schreibt so wie xy“. Damit legt man sowohl den Autor als auch die Lektüre von vornherein auf einen Rezeptionsausschnitt fest, den der Autor selbst vielleicht niemals beabsichtigt hat.

Wenn er so schreibt wie xy, dann kopiert er lediglich dessen Stil. Ein bisschen besser wäre es dann noch, wenn er den Stil und die Art und Weise der Annäherung an den Stoff von einem berühmten Vorgänger adaptieren und auf die heutige Zeit anwenden würde.

Auch nur ein wenig besser macht es der Klappentext dieses deutschen Debüts, wenn es dort heißt, Wells Tower schreibe „brillante Short Stories in der Tradition von Hemingway und Carver“. Natürlich braucht heute alles ein Label, um die Zuordnung zu erleichtern und den Stern des hierzulande noch unbekannten Autors am funkelnden Nachthimmel der Neuerscheinungen ein bisschen heller erstrahlen zu lassen und die Aufmerksamkeit des Feuilletons wie des Publikums auf ihn zu lenken.

Ein neuer Carver oder Hemingway ist also entdeckt. Soso. Dass sich Klappentexte vor Lob nur so überschlagen und wenige Hinweise auf den wahren Inhalt des Buches liefern wie früher, ist hinlänglich bekannt und wurde sogar jüngst in einer Kolumne der ZEIT kritisiert. Aber hält die Lektüre dem Vergleich mit den großen Amerikanern der Short Stories (oder neudeutsch: Storys) wirklich Stand?

Zunächst einmal ist Wells Tower Kanadier. Er wurde 1973 in Vancouver geboren und schaut auf dem schwarzweißen Umschlagfoto grimmig ins Off, so weit schon einmal sehr dem Klischee entsprechend. Seine Storys wurden im renommierten „New Yorker“ und im „Paris Review“ veröffentlicht, was einem literarischen Ritterschlag gleichkommt, und so verwundert auch nicht, dass Tower als einer der besten amerikanischen Nachwuchsautoren gefeiert wird.

Nun zu den Storys. Sie lesen sich in der Tat wie moderne Versionen von „Der alte Mann und das Meer“ oder anderen Klassikern der „American short story“. Wells Towers Stil ist sehr gerade, eine lineare Handlung wird in einer schnörkellosen Sprache erzählt, und die Welten, die er beschreibt, entsprechen dem verbreiteten Zeitgefühl des verloren gegangenen amerikanischen Traums.

Es geht um das „wilde Amerika“, wie eine der Geschichten auch heißt, es ist ein wildes, weites Land mit Menschen, die eine sehr deutliche Sprache sprechen und die den Elementen noch näher verbunden sind als wir Mitteleuropäer. Doch alle Wild-West-Romantik ist dieser Welt abhanden gekommen.

„Alles zerstört, alles verbrannt“ ist hier in dieser Welt, und die Hoffnungslosigkeit ist das, was immer im Hintergrund lauert, ist das einzig Vertraute.

Wells Tower schreibt kraftvolle Geschichten, und viele Passagen hätte auch ein Carver oder Hemingway vielleicht so geschrieben, wenn sie heute lebten. Wer diese Art von Literatur mag, wird an „Alles zerstört, alles verbannt“ seine Freude haben. So dürfen wir wohl noch auf weitere Kurzgeschichten von Wells Tower warten – und auf seinen ersten Roman, den er gerade schreibt. Seien wir gespannt.

Autor: Wells Tower
Titel: „Alles zerstört, alles verbrannt“
Gebundene Ausgabe: 269 Seiten
Verlag: Fischer (S.), Frankfurt
ISBN-10: 3100800311
ISBN-13: 978-3100800312