Dorothy Parker: „Morgenstund hat Gift im Mund – New Yorker Geschichten“

Dorothy Parker war eine erstaunliche und interessante Frau. Wie interessant, das kann man in einer hervorragenden neuen Biografie von Michaela Karl („Noch ein Martini, und ich lieg unter dem Gastgeber“, erschienen im Residenz Verlag) nachlesen.

Genau so spannend und turbulent wie das Leben der amerikanischen Schriftstellerin und Theater- und Literaturkritikerin lesen sich auch ihre Kurzgeschichten. Dorothy Parker stand ständig unter Strom. Ihre Geschichten klingen oft wie die Monologe einer ennuyierten Lady aus den besseren Kreisen.

Morgens vor elf aufzustehen, wird als völlig indiskutabel abgelehnt. Im „Tagebuch einer New Yorker Lady“ wird man Zeuge eines scheinbar aufregenden, im Grunde aber völlig stereotypen und langweiligen Jet-Set-Lebens, in dem ein Tag wie der andere vergeht und die Langeweile mit Klatsch und Tratsch zugekleistert oder im Champagner ersoffen wird.

Manchmal wacht die Dame auch mitten in der Nacht auf, ist zunächst verwirrt, weil es ja dunkel ist, verfällt darauf hin in eine leichte Panik, die in einem hilflosen Aktionismus mündet, um wieder einzuschlafen. Da sie keine Schafe mag, spottet sie über ihre Dichter- und Schriftstellerkollegen und versucht, durch das Aufsagen von Zitaten wieder einzuschlafen.

Das alles klingt sehr überdreht und auch nach einer genetisch vererbten Arroganz der Erzählerin, von der man vermuten könnte, dass sie eine Menge mit Dorothy Parker gemeinsam haben könnte.

Doch die echte Dorothy Parker, als eine geborene Rothschild eine Amerikanerin jüdischer Herkunft, wurde 1893 in New Jersey geboren und starb 1967 in New York. Sie litt lange unter ihrer Alkoholsucht, hatte Depressionen, war sexuell freizügig und eine scharfzüngige Kritikerin und Schriftstellerin. Sie nahm kein Blatt vor dem Mund und machte sich so nicht immer nur Freunde.

Dorothy Parkers New Yorker Kurzgeschichten sind jetzt in einem kleinen und sehr handlichen Büchlein bei Kein & Aber erschienen und lassen die Stimmung des amerikanischen Originals dank der gelungenen Übersetzungen von Ursula–Maria Mössner und Pieke Biermann sehr gut nachempfinden.

Wer unter niedrigem Blutdruck leidet, kann mit ein paar Seiten Dorothy Parker seinen Tagespegel mühelos anheben. Stellen Sie sich einfach eine Mischung aus Gayle Tufts und Desiree Nick vor, und sie haben den Sound von Dorothy Parker im Ohr. Das ist auf die Dauer anstrengend, aber für die Lektüre einer beschwingten Kurzgeschichte ist es wunderbar.

Autor: Dorothy Parker
Titel: „Morgenstund hat Gift im Mund – New Yorker Geschichten“
Gebundene Ausgabe: 208 Seiten
Verlag: Kein & Aber
ISBN-10: 3036956166
ISBN-13: 978-3036956169