Hubertus Meyer-Burckhardt: „Die Kündigung“

Dass sein Chef Altmann eine Niete ist, war Simon Kannstatt schon lange klar. Als er dann von eben jenem Altmann gekündigt wird, trifft Kannstatt seine Entscheidung schnell: Der Schwächling muss liquidiert werden. Denn Schwätzer wie Altmann sind wie Sand im Getriebe und gefährden den Bestand des Unternehmens.

Kannstatt sieht sich als einen der letzten Vertreter der wahren Lehre vom reinen Kapitalismus. Er befindet sich (wie alle Arbeiter der Führungsebene II) im Krieg. Täglich sitzen er und seine Kameraden in den Truppentransportern der Airlines, genießen die Annehmlichkeiten der Business Class und fliegen zu ihrem nächsten Einsatz in den wahren Krisengebieten der Welt – den Chefetagen der Banken und multinationalen Großkonzerne.

Simon Kannstatt ist einer von ihnen, und er gehört zu den Besten. Seine größten Feinde sind die „Feuilletonisten“, die Schwätzer. Denn die treffen keine Entscheidungen, sondern müssen permanent alles zerreden und tot diskutieren. Durch ihr Gelaber weichen sie die scharf gezogenen Linien der gefällten Entscheidungen auf und sind am Ende die Einzigen, die den Lauf der Dinge wirklich verändern können.

Nie sah Kannstatt seine Aufgabe darin, die Welt zu verändern. Durch seinen erfolgreichen und ehrgeizigen Vater in das Wirtschaftsstudium gedrängt, wurden seine jungen Gefühle, Träume und Ansprüche schnell planiert und auf Linie gebracht. Kannstatt war eine perfekt funktionierenden Maschine: effizient, loyal und sehr erfolgreich.

Nach seiner Kündigung steht er plötzlich vor dem Nichts. Seine berufliche Aufgabe ist ihm genommen und mit ihr auch noch der letzte winzige Rest seiner allseits reduzierten Persönlichkeit. Außer dem kühl kalkulierenden Topmanager auf seinem beruflichen Erfolgsweg ist da nichts, zu dem Kannstatt „ich“ sagen könnte. Die Frage nach seinem Ich hatte er sich auch seit vielen Jahren nicht mehr gestellt. Seine Ehe besteht nur noch auf dem Papier, die meiste Zeit ist Kannstatt unterwegs gewesen und nicht zu Hause, da ging es ihm nicht anders als all den anderen Kämpfern des wahren Kapitalismus.

Damit er die eigene Leere nach seiner Freisetzung nicht spürt, setzt Kannstatt zunächst sein leben in der Business Class fort, begibt sich zum Flughafen, schließt sich der Herde in Nadelstreifen an und fliegt erster Klasse in verschiedene Richtungen.

So gelangt Kannstatt in die USA nach Newark, dem Drehkreuz der Airlines in der Nähe von New York. Über dem Atlantik bricht Kannstatt endgültig zusammen, die alte Hülle fällt von ihm ab, und der Mensch, der Kannstatt war, stirbt zehntausend Meter über dem Meer. Neu geboren in Newark wird aus Kannstatt Greenbaum, nicht nur ein Pseudonym, sondern eine neue Identität. Er nennt sich Greenbaum nach Norman Greenbaum, dessen „Spirit in the Sky“ die erste Single war, die Simon Kannstatt besessen hatte.

In Newark sucht er mechanisch ein Hotel und landet im „Atlantic Crossing“, einer Mischung aus Hotel und Plattenladen. Sein Besitzer ist Python, ein Alt-Hippie mit deutschen Wurzeln, der hier zwar kaum Platten verkauft, dafür aber seinen Traum lebt. Greenbaum ist hier an der richtigen Stelle, denn das Atlantic Crossing ist ein Ort für gestrandete Seelen. Python träumt davon, aus dem Hotel ein Therapiezentrum für gescheiterte Manager zu machen, ein Managergenesungsheim.

Der Aufenthalt im „Atlantic Crossing“ wird für Kannstatt zum Beginn seines zweiten Lebens. Als man zusammen mit ihm eine kleine Feier veranstaltet, empfindet sie Kannstatt als seine Geburtstagsfeier und resümiert die Traurigkeit seines alten Lebens: „Ich hatte vergessen, wie man lebt, ich hatte vergessen, wie man atmet. Ich hatte alles vergessen. Ich wollte reich werden. Ich wollte nicht berühmt werden. Ich wollte materiell unabhängig werden. Ich wollte im Sommer nach Kampen auf Sylt eingeladen werden, wie mein Chef, der den Urlaub an dem Luxusfleckchen herunterspielte, wenn man ihn darauf ansprach.

In seinem Debütroman konstruiert Meyer-Burckhardt die Geschichte der Kündigung in einem vielschichtigen Erzählstil, dessen Bilder stark sind und dessen Szenarien öfters an einen modernen Kafka erinnern. Die Sprache ist außerordentlich kraftvoll und bildreich und besticht durch ihre schlichte Brillanz.

Die Lektüre des Romans ist kurzweilig, die Geschichte von vielen interessanten und neuen Bildern durchzogen. Die 156 Seiten sind zwar schnell gelesen, jedoch nicht schnell verdaut. Wenngleich „Die Kündigung“ in der Welt des Managements spielt, dient diese Geschichte vom Erfolg und Scheitern doch nur als Bühne für die Introspektion und Hinterfragung der eigenen Lebensentwürfe und ihrer Unerfüllbarkeit.

Hierdurch wird aus diesem Buch viel mehr als nur eine schöne Geschichte, es wird zu einer Parabel auf die Sinnentleerung unserer modernen Arbeitswelt sowie zu einer Wegbeschreibung zurück zur Selbstbestimmung des eigenen Lebens in einer disparaten Gesellschaft.

Hubertus Meyer-Burckhardt ist Professor an der Hamburg Media School und moderiert gemeinsam mit Barbara Schöneberger die „NDR Talk Show“. Früher war er Vorstandsmitglied der Axel Springer AG und der ProSiebenSat1 Media AG. Das Leben in der Business Class kennt der in Hamburg lebende TV-Produzent und Journalist aus eigener Erfahrung.

„Die Kündigung“ ist ein tolles Buch, das die sinnentleerte Mechanik der Berufswelt des gehobenen Managements klarer und vernichtender beschreibt als zum Beispiel die Romane des Schweizer Autors Martin Suter. Für ein Debüt sind sowohl die sprachliche Qualität als auch der straff gezogene Spannungsbogen der Geschichte bemerkenswert. „Die Kündigung“ wird also hoffentlich nicht der erste und zugleich letzte Ausflug Meyer-Buckhardts in die Welt der Literatur sein.

Autor: Hubertus Meyer-Burckhardt
Titel:“ Die Kündigung“
Gebundene Ausgabe: 155 Seiten
Verlag: Ullstein Hc
ISBN-10: 3550088493
ISBN-13: 978-3550088490

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