Wer soll das alles lesen?? Bei weitem nicht alles, was gedruckt wird, lohnt die Lektüre. Und schon gar nicht ist ein Buch gut/interessant/lesenswert, nur weil es „neu“ ist! Das wusste auch schon Auguts Wilhelm Schlegel, der bereits 1802 ziemlich bissig über die Fülle der Neuerscheinungen urteilte … Ich betrachte es daher als eine wichtige kulturelle Aufgabe, die Spreu der Neuerscheinungen vom Weizen des Lesenwerten zu trennen und Ihnen hier die wichtigsten und lesenswerten Neuheiten auf dem deutschen Sachbuchmarkt vorzustellen.
Aktuelle Rezensionen:
Denis Scheck: „Schecks Bestsellerbibel – Schätze und Schund aus 20 Jahren“
Ach, wie schön! Eine geballte Ladung Literaturkritik der unterhaltsamsten und treffendsten Art! Denis Schecks Geschmacksurteile über die Top Ten der Spiegel-Bestsellerlisten in den Kategorien „Belletristik“ und „Sachbuch“ aus den vergangenen zwanzig Jahren!
Seit zwanzig Jahren ist Schecks Literatursendung „Druckfrisch“ bereits in der ARD auf Sendung, und allein diese Erkenntnis erzeugt eine Gänsehaut: zwanzig Jahre?!? — Es sind oft genau solche scheinbar beiläufigen Informationen, die man so nebenbei aufschnappt, die uns dann jedoch die eigene Vergänglichkeit mit voller Wucht vor Augen führen; zwanzig Jahre „Druckfrisch“ bedeuten nicht nur zwanzig Jahre Hilfestellung beim „betreuten Lesen“, sondern eben auch zwanzig Jahre abgelaufene Lebenszeit, vergangene Zeit (…)
Doch hinfort, Ihr trübsinnigen Gedanken! – Konzentrieren wir uns lieber auf den „literarischen Mundscheck“ und das von ihm kredenzte literaturkritische Labsal: Denis Scheck nimmt kein Blatt vor den Mund, sondern spricht Klartext!
Johannes Franzen: „Wut und Bewertung – Warum wir über Geschmack streiten“
Über Geschmack lässt sich trefflich streiten. Der Kunstgeschmack und die Debatte über „gute Kunst“ sind Themen, die seit Jahrhunderten für hitzige Diskussionen sorgen. Die Vorstellung davon, was Kunst ist und was sie sein soll, ist nicht nur von persönlichen Vorlieben geprägt, sondern auch von kulturellen, historischen und sozialen Faktoren. Während der Kunstgeschmack oft als subjektiv angesehen wird, gibt es eine lange Tradition von Versuchen, objektive Kriterien für „gute Kunst“ festzulegen. Dabei zeigt sich, dass diese Kriterien ständig neu verhandelt werden – ein Beweis für die dynamische und komplexe Natur des Kunstbegriffs.
Der Literaturwissenschaftler Johannes Franzen hat sich intensiv mit der Frage beschäftigt, warum wir über Geschmack streiten und ob diese Streitkultur – falls es sich hierbei wirklich um eine „Kultur“ handelt – durch die „sozialen Medien“, in denen jene Auseinandersetzungen vorzüglich stattfinden, positiv oder negativ beeinflusst wird.
Paula Steingäßer: „Und was ist mit unserer Zukunft? – Aufwachsen mit der Klimakrise“
Paula ist die älteste Tochter des Journalisten-Ehepaares Jana und Jens Steingäßer, die als „professionelle Klimaaktivisten“ (wenn es so etwas gibt) die Welt bereisen, immer der Klimakrise hinterher, ihre Erlebnisse und Begegnungen aufschreiben und dann öffentlichkeitswirksam in verschiedenen Medien veröffentlichen.
Als Eltern von vier Kindern zeigen sie, wie man trotz des Klimawandels (oder vielleicht gerade deswegen?) auch mit kleinen Kindern um und durch die Welt reisen kann. Die lieben Kleinen bekommen auf diese Weise nicht nur früh eine Menge von der Welt zu sehen, sondern werden auch schon früh mit den existenziellen Bedrohungen unseres Planeten durch die destruktivste Spezies von allen – durch den Menschen – konfrontiert.
Paula Steingäßer hat über diese Erfahrungen und ihre Folgen jetzt ein sehr persönliches Buch veröffentlicht. Die Verzweiflung des Mädchens, das in Grönland seine ersten traumatischen Erfahrungen mit realen Auswirkungen der von Menschen gemachten Klimakatastrophe machen und sehen muss, wie ihren Freunden und ihren Familien die Lebensgrundlagen entzogen werden, wenn Eisberge schmelzen, die Eismeere sich erwärmen und mit dem Ökosystem auch das soziale Gefüge in den betroffenen Weltregionen erodiert – diese Verzweiflung wird von der Autorin in berührender Offenheit geschildert.
Ulla Lenze: „Das Wohlbefinden“
Solange noch kein Wirkstoff gegen die Tuberkulose gefunden ist, „ist die zentrale Therapie in unseren Heilstätten das Wohlbefinden. Wir streben danach, alles zu beseitigen, was uns aus dem Gleichgewicht bringt, und bemühen uns, Körper und Seele in jenen Frieden zurückzuführen, dessen Fehlen oft die Ursache von Krankheiten ist.“
Diese Worte stammen von Professor Blomberg, in dem neuen Roman von Ulla Lenze der Leiter der Beelitzer Heilstätten. Jene um die Jahrhundertwende mitten in den Kiefernwäldern südwestlich von Berlin errichteten Heilstätten dienten der Bekämpfung der Tuberkulose in der Reichshauptstadt. Dort führten die beengten und unhygienischen Verhältnisse in den berüchtigten Mietskasernen zu einer massenhaften Ausbreitung der Lungenerkrankung, besonders unter der armen Bevölkerung.
Die „Arbeiter-Lungenheilstätten Beelitz-Heilstätten“, so der vollständige Name, gehörten zu ihrer Zeit zum Modernsten, was man sich vorstellen konnte: fließend Wasser, elektrisches Licht, Elektro-Fahrzeuge, die auf dem Gelände fuhren (…)
Felix Wiedemann: „Rassenbilder aus der Vergangenheit — Die anthropologische Lektüre antiker Bildwerke in den Wissenschaften des 19. und 20. Jahrhunderts“
Manchmal haben Pandemien auch ein Gutes. Zumindest trifft dies auf die vorliegende Forschungsarbeit von Felix Wiedemann zu: Ursprünglich war „nur“ eine vergleichende Studie zweier Forschungsreisen — der britischen Petrie-Expedition von 1886/87 und der von der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ausgerichteten „Fremdvölkerexpedition“ von 1912/13 — geplant, deren Bildmaterialien vor Ort in Berlin und London in den Archiven durchsucht, katalogisiert und analysiert werden sollten. Doch dann kam Covid-19, und der Zugang zum Londoner Archivmaterial war auf unbestimmte Zeit verschlossen.
Wiedemann machte aus seiner Forschungsnot eine Tugend und stellte sein Projekt neu auf, indem er neben jener vergleichenden Studie den Forscherblick vor allem auf die Medien und Reproduktionstechniken jener historischen anthropologischen Untersuchungen legte. Hierbei stellte er auch die zeitgenössische anthropologische Lektüre in einen größeren wissenschafts-, medien- und ideologiegeschichtlichen Kontext.
Sina Farzin u. Stefan Jordan (Hg.): „Grundbegriffe der Soziologie und Sozialtheorie“
Eine Einführung in die Grundbegriffe der Soziologie und der Sozialtheorie sollte den Leser zunächst in das Feld der Soziologie einführen, indem die grundlegenden Fragen und Themenbereiche dieser Wissenschaft dargestellt werden. Die Soziologie beschäftigt sich mit dem Studium der Gesellschaft, sozialer Interaktionen und der Muster des menschlichen Zusammenlebens. Sie untersucht, wie Individuen und Gruppen in sozialen Strukturen agieren, wie Normen und Werte entstehen und wie soziale Institutionen wie Familie, Religion, Bildung und Wirtschaft funktionieren.
Die Sozialtheorie hingegen ist ein breiteres Feld, das sich mit den theoretischen Ansätzen und Konzepten beschäftigt, die zur Analyse und Interpretation sozialer Phänomene verwendet werden. Sie bietet Werkzeuge, um die sozialen Realitäten zu verstehen, und hilft, die zugrunde liegenden Mechanismen, die gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungen antreiben, zu erklären.
„Soziale Normen“, „Rollen“ und „Sozialisation“ sind drei beliebig gewählte zentrale Grundbegriffe der Soziologie:
Kersten Knipp: „Die Erfindung der Eleganz — Europa im 17. Jahrhundert und die Kunst des geselligen Lebens“
Das 17. Jahrhundert markierte eine transformative Ära in Europa, geprägt von politischen, sozialen und kulturellen Umbrüchen, die nicht nur die Struktur der Gesellschaft, sondern auch die Interaktionen zwischen ihren Mitgliedern tiefgreifend veränderten. Besonders hervorzuheben ist die Entwicklung von Geselligkeit und Eleganz, die in dieser Zeit als zentrale Elemente des sozialen Lebens sowohl in bürgerlichen als auch in adeligen Kreisen ihren Ursprung fanden.
Die Geselligkeit, das soziale Miteinander in Form von Zusammenkünften, Salons, Bällen und Festen, entwickelte sich zu einem festen Bestandteil des Lebens, das weit über die bloße Erfüllung gesellschaftlicher Pflichten hinausging. Sie wurde zum Ausdruck von Gemeinschaftssinn, sozialem Status und kulturellem Austausch. Gleichzeitig entstand eine neue Auffassung von Eleganz, die sich nicht nur in der Mode und den Umgangsformen, sondern auch in der Architektur, Kunst und Literatur manifestierte. Diese Erfindung der Eleganz wurde zu einem Unterscheidungsmerkmal zwischen den sozialen Schichten und prägte das Selbstverständnis der aufstrebenden bürgerlichen Klasse ebenso wie das des etablierten Adels.
Sandra Mühlenberend u. Susanne Wernsing (Hg.): „VEB Museum — Das deutsche Hygiene-Museum in der DDR“
1912 wurde das Deutsche Hygiene Museum in Dresden in einer Privatinitiative des Odol-Herstellers Karl August Lingner als „Volksbildungsstätte für Gesundheitspflege“ gegründet. Ein Jahr zuvor wurde in der I. Internationalen Hygiene-Ausstellung umfassend über alle möglichen Aspekte der Gesundheitsvorsorge und -pflege aufgeklärt. Das Deutsche Hygiene Museum sollte die Bevölkerung mit den wichtigsten Maßnahmen zur Gesundheitsprävention vertraut machen, über gesunde Ernährung und Lebensweise informieren sowie über die menschliche Anatomie und die grundlegenden körperlichen Funktionen aufklären.
Nach dem Ende der Weimarer Republik wurde das Museum in den Dienst der rassenhygienischen Ideologie des Nationalsozialismus gestellt und durch die Einrichtung der Abteilung „Erb- und Rassenpflege“ erweitert, die ganz im Sinne des 1934 verabschiedeten Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses die „Vorzüge“ von Zwangssterilisation und Zuchtwahl propagierte.
Doch welche Funktionen übernahm das Deutsche Hygiene-Museum nach 1945 und in der DDR?
Gabriele Reuter: „Aus guter Familie — Leidensgeschichte eines Mädchens“
Ein junges Mädchen „aus guter Familie“ wird erwachsen und geht den ihr vorbestimmten Weg: Sie übernimmt fraglos die von der Gesellschaft für Mädchen und Frauen festgelegten Regeln; sie schlüpft in die Rolle der gehorsamen Tochter, der zukünftigen Braut und Mutter. Sie folgt den Erwartungen, die an junge Frauen aus gutbürgerlichen Verhältnissen in der Gesellschaft der wilhelminischen Zeit gestellt werden; sie folgt dem vorgezeichneten Weg, der sie — stellvertretend für viele ihrer Zeit- und Leidensgenossinnen — geradewegs ins Unglück führt, weil jene Ziele und Erwartungen eben nicht ihre eigenen sind, sondern etwas von außen Kommendes.
In Anbetracht der literaturhistorischen Bedeutung dieses Romans widerstrebt es mir, von einer „Coming-of-Age“-Geschichte zu sprechen, aber eigentlich ist „Aus guter Familie“ von Gabriele Reuter genau das: die Geschichte einer heranwachsenden Bürgerstochter in der wilhelminischen Zeit, die stets die Erfüllung ihrer (gesellschaftlichen / moralischen) Pflicht in den Mittelpunkt ihres Lebens stellt — und damit trotz aller Zweifel bereitwillig auf die Verfolgung ihrer eigenen Ziele verzichtet.
Bernd Brunner: „Unterwegs ins Morgenland — Was Pilger, Reisende und Abenteurer erwarteten, und was sie fanden“
Ob sich Bernd Brunner und Anthony Bale in einem der klösterlichen Archive begegnet sind, in denen alte Handschriften und Reiseberichte von Pilgerfahrten aufbewahrt sind? — Es ist schon erstaunlich, dass sich in diesem Frühjahr 2024 zwei Neuerscheinungen mit dem „Reisen im Mittelalter“ sowie mit Pilgerfahrten und Abenteuerreisen ins Morgenland beschäftigen. Während sich der britische Mittelalter-Experte Anthony Bale mit dem mittelalterlichen Reisen in allen seinen Facetten und rund um die damalige bekannte Welt beschäftigt, konzentriert sich der für außergewöhnliche Themen bekannte Autor Bernd Brunner auf die Reisen von Pilgern und Abenteurern ins Morgenland.
Anhand von Reiseberichten vom Mittelalter bis ins frühe 20. Jahrhundert gelingt es dem Autor, ein in vielen Facetten schillerndes Bild des historischen Palästinas zu malen. Mindestens ebenso viele Facetten hat das Morgenland als Ort der Begegnung von Westen und Orient. Palästina, das Heilige Land, war nicht nur der Sitz und die Heimatregion der drei großen monotheistischen Religionen, sondern immer auch ein Ort der Auseinandersetzungen, der Ernüchterung, der Utopien, aber auch des friedlichen Zusammenlebens.
Anthony Bale: „Reisen im Mittelalter — Unterwegs mit Pilgern, Rittern, Abenteurern“
Es ist gut möglich, dass unsere Vorstellungen vom Mittelalter als einem dunklen Zeitalter, in dem die Menschen ein gottesfürchtiges und rückständiges Leben führten, nicht richtig sind. Das Mittelalter war wahrscheinlich deutlich bunter und vielfältiger, als uns die alten Schulbücher glauben machen. Dennoch war der Glaube die zentrale Perspektive des mittelalterlichen Menschen und beeinflusste fundamental seine Sicht auf die Welt. Ein Aspekt, der lange von der Mittelalter-Forschung vernachlässigt wurde, waren die Mobilität und das Reisen in jener Phase der Menschheitsgeschichte.
Das Reisen im Mittelalter war eine faszinierende, wenn auch gefährliche Angelegenheit. Während heute Flugzeuge, Züge und Autos unsere Fortbewegung bequem und schnell machen, mussten die Menschen im Mittelalter viele Herausforderungen meistern. Pilger, Ritter und Abenteurer hatten unterschiedliche Gründe zu reisen, und jede Gruppe brachte ihre eigenen Besonderheiten und Vorbereitungen mit sich.
Marcus Bensmann / Correctiv: „Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst — Die ungeheuerlichen Pläne der AfD“
Dieses Buch verbreitet schlechte Laune. Nicht, weil es etwa schlecht geschrieben ist; ganz im Gegenteil: Dieses Buch fasst erstmals zusammen, was seit geraumer Zeit an Enthüllungen in Sachen AfD durch die unabhängige Medienplattform Correctiv (und hier besonders durch den Investigativ-Journalisten und Autor dieses Buches, Marcus Bensmann) ans Licht der Öffentlichkeit gelangt ist.
In diesem Buch präsentiert Bensmann die verschiedenen Stränge der AfD-Politik — oder besser: der Pläne und Machenschaften, die hinter dem scheinbar so harmlosen Erscheinungsbild der AfD geschmiedet werden, wenn es tatsächlich zu einem Wählervotum kommen sollte, das der AfD auch auf Bundesebene mehr politische Macht und sogar Regierungsverantwortung übertragen würde. — Es sind in der Tat „ungeheuerliche Pläne“, wie der Untertitel bereits andeutet.
Rebecca Buxton, Lisa Whiting (Hg.): “Philosophinnen — Von Hannah Arendt bis Mary Wollstonecraft“
Manchmal ist es ganz gut, wenn man ein Sachbuch nicht gleich auf Anhieb einschätzen und in die lange Reihe erschienener Publikationen aus jenem Themenbereich einordnen kann. Und manchmal ist es auch eine gute Erfahrung, wenn man nicht gleich schlau ein kurzes Referat über das in einem Buch behandelte Thema halten kann, sondern schon nach wenigen Worten ins Stocken gerät.
Philosophinnen, so so. — Obwohl ich durchaus vertraut bin mit den Grundzügen abendländischer Philosophie und ihrer geschichtlichen Entwicklung von der Antike bis in die jüngste Vergangenheit, fällt es mir schwer, zumindest einige der wichtigsten Philosophinnen namentlich aufzuzählen: Mary Wollstonecraft, Edith Stein, Hannah Arendt, Simone de Beauvoir. Okay, aber dann?
Sagen Ihnen die folgenden Namen etwas? — Diotima? Ban Zhao? Lalla? Mary Astell? Iris Murdoch? Mary Midgley? Elizabeth Anscombe? Mary Warnock? Sophie Bosede Oluwole? Azizah Y. AL-Hibri???
Heike Specht: „Die Frauen der Familie Feuchtwanger — Eine unerzählte Geschichte“
Die Bedeutung der Frauen in einer Familie ist ein oft unterschätztes Thema, das jedoch zentrale Bedeutung für das Verständnis sozialer Strukturen und individueller Erfolge hat. Das Motto „Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine Frau“ verdeutlicht die oft verborgene, aber entscheidende Rolle, die Frauen im Hintergrund spielen. Am Beispiel der Frauen der Familie Feuchtwanger, einer bedeutenden deutschen Familie von den Anfängen bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, lässt sich diese These anschaulich illustrieren.
Die freie Autorin Heike Specht hat Geschichte und Literaturwissenschaft studiert und arbeitete lange als Verlagslektorin. Nach erfolgreichen Biographien von Lilli Palmer und Curd Jürgens und einem interessanten Buch über die First Ladies in Deutschland („Ihre Seite der Geschichte. Deutschland und seine First Ladies von 1949 bis heute“) hat sich die Autorin und intensiv mit der „unerzählten Geschichte“ der Frauen in der Familie Feuchtwanger beschäftigt. Das vorliegende Buch beeindruckt nicht nur durch den Umfang der Recherche, sondern vor allem durch die Leidenschaft und das Engagement der Autorin. Die Frauen der Familie Feuchtwanger — jene Matriarchinnen, Hausherrinnen, Pionierinnen und Heldinnen — aus der Zeit des frühen 19. Jahrhunderts bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts werden in diesem unterhaltsam und packend geschriebenen Sachbuch nicht nur anschaulich portraitiert, sondern immer auch in den historischen Kontext ihrer jeweiligen Lebenswelt eingebettet.
Ian Mortimer: „Im Rausch des Vergnügens — Eine Reise in das England von Jane Austen und Lord Byron“
Willkommen in der Regency-Zeit, einer Epoche voller Eleganz, Romantik und Wandel, die das frühe 19. Jahrhundert in England prägte. Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Kutschen die Straßen durchquerten, elegante Ballsäle zum Leben erwachten und neue Ideen und Erfindungen die Gesellschaft veränderten.
Der englische Historiker Ian Mortimer gilt als einer der erfolgreichsten britischen Autoren und als Spezialist für die Zeit des Mittelalters; in seinen Sachbüchern und historischen Romanen erweckt er die Vergangenheit zum Leben und verknüpft auf unterhaltsame Weise historische Fakten mit einer anschaulichen Sprache und lebendigen Darstellungen.
In seinem letzten Buch („Im Rausch des Vergnügens“), das als Hardcover 2022 und jetzt als Taschenbuch-Ausgabe erschienen ist, widmet sich Mortimer der Zeit des Regency, also des frühen 19. Jahrhunderts. Begleiten Sie den Autor auf seiner Reise in das England von Jane Austen und Lord Byron, in eine Ära, die so lebendig ist, dass Sie die Seide der Kleider rascheln hören und den Duft von frischen Blumen in den üppigen Gärten spüren können.
Emmeline Pankhurst: „Suffragette — Die Geschichte meines Lebens“
Emmeline Pankhurst (1858–1928) war eine herausragende Persönlichkeit der englischen Frauenbewegung und eine zentrale Figur im Kampf um das Frauenwahlrecht. Geboren in Manchester in eine politisch engagierte Familie, wurde sie früh mit sozialen und politischen Themen konfrontiert. Ihre Mutter nahm sie bereits als Kind zu Frauenversammlungen mit, was ihr Interesse an der Frauenbewegung weckte.
In der Buchreihe Steidl Pocket ist nun die Neuauflage der Memoiren von Emmeline Pankhurst in der deutschen Übersetzung von Agnes S. Fabian und Hellmut Roemer erschienen. Unter dem Titel My Own Story bzw. Mrs. Pankhurst´s Own Story erschien das englische Original im Jahr 1914 kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Es handelt sich weniger um eine Autobiographie als um eine Rechtfertigung für den (militanten) Kampf der Frauen — genauer: der Suffragetten — für Gleichberechtigung. Die Autorin geht eher nur marginal auf ihre eigenen Lebensdaten ein, sondern verknüpft ihr Leben und Werk stets mit den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen ihrer Zeit. Auf diese Weise bekommen die Leser einen tiefen und faszinierenden Einblick in die Anfänge der Frauenbewegung vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.
Gilda Sahebi: „Wie wir uns Rassismus beibringen — Eine Analyse deutscher Debatten“
Rassismus ist nicht angeboren, sondern wird erlernt. Diese einfache Wahrheit ist der Schlüssel zum Verständnis und zur Bekämpfung von Vorurteilen und Diskriminierung. Doch wie genau erlernen wir rassistisches Denken und Verhalten? Die Antwort liegt in der Art und Weise, wie unsere Gesellschaft strukturiert ist und wie wir als Individuen in dieser Gesellschaft agieren.
Das vorliegende Buch der in Teheran geborenen und seit ihrer Kindheit in Deutschland lebenden Journalistin, Autorin und Aktivistin Gilda Sahebi beleuchtet die Mechanismen, durch die Rassismus in unseren Köpfen und Herzen Wurzeln schlägt, und appelliert an unser kollektives Bewusstsein, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.
Von klein auf sind wir ständig von Botschaften umgeben, die subtil oder offen rassistische Stereotype und Vorurteile vermitteln. Diese Botschaften kommen aus verschiedenen Quellen: den Medien, der Bildung, den sozialen Normen und sogar unseren Familien.
Simon Sahner und Daniel Stähr: „Die Sprache des Kapitalismus“
„Sprache ist der Schlüssel zur Welt“, lautet ein berühmtes Zitat von Wilhelm von Humboldt. Die Grenzen unserer Wahrnehmung beginnen dort, wo wir keine Begriffe mehr für das haben, was wir wahrnehmen. Oder wie Ludwig Wittgenstein gesagt hat: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt. “
Nur durch Sprache lässt sich sinnvoll kommunizieren. Wir benutzen Sprache, um uns auszutauschen und unsere Wahrnehmungen mit denen anderer abzugleichen.
Wittgenstein prägte auch den Begriff des „Sprachspiels“, das wir alle spielen. Die Sprache erhält hierbei eine doppelte Funktion; denn mit Hilfe von Sprache wird in der Sprache ausgehandelt, was Sprache aussagt. Mit anderen Worten müssen wir uns zunächst über ein gemeinsames Vokabular verständigen, bevor wir sinnvolle und allgemein verständliche Aussagen treffen können. Das Ganze ähnelt einem Spiel:
Unter einem Sprachspiel (engl. language game) wird allgemein eine sprachliche Äußerung verstanden, die innerhalb einer bestimmten Verwendungssituation auftritt. — Und genau eine solche Verwendungssituation ist die uns überall umgebende Welt des Kapitalismus. Darum geht es im vorliegenden Buch.
Valentin Groebner: „Gefühlskino — Die gute alte Zeit aus sicherer Entfernung“
Der Begriff „Nostalgie“ ist ein großer und unbestimmter Behälter, den man mit einer ganzen Reihe von abstrakten Worten füllen kann, die alles und nichts bedeuten können: „Autonomie“, „Freiheit“, „Verantwortung“, „Gedächtnis“, „Solidarität“ usw. Es gibt also nicht die eine Nostalgie, sondern beliebig viele verschiedene Arten von Nostalgie; ein nostalgisches Gefühl, schreibt der Historiker Valentin Groebner, ist „die Sehnsucht nach Rückkehr in die Vergangenheit, ist eine Kombination aus freundlicher Erinnerung und schmerzlichem Vermissen“.
Man erkennt die Vergangenheit daran, dass sie „fremd und bizarr“ ist; in der Rückschau — beispielweise beim Betrachten alter Familienfotos — erkennen wir uns selbst zwar wieder, aber oft nur optisch: Was wir damals gedacht und gemacht, wie wir uns gekleidet und welche Frisur wir hatten — all das erscheint uns seltsam „fremd“ und teilweise sogar „bizarr“. Mit anderen Worten sind wir heute Andere als damals, und so würden wir auch die damalige Welt, wäre sie plötzlich wieder unsere heutige, entsprechend anders wahrnehmen und einschätzen.
Zeinab Badawi: „Eine afrikanische Geschichte Afrikas — Vom Ursprung der Menschheit bis zur Unabhängigkeit“
Der afrikanische Kontinent ist die „Wiege der Menschheit“ und ein territoriales Gebilde von derzeit 55 Nationalstaaten, in denen ca. 1,4 Milliarden Menschen leben. Afrika nimmt etwa 20 Prozent der Landfläche unseres Planeten ein. — Wie will man die Geschichte Afrikas in einem einzigen Buch erzählen? Ist solch ein Versuch nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt?!
Wer ein Sachbuch schreiben will, muss sich im Klaren darüber sein, dass sie oder er niemals alle Facetten eines Themas vollständig und vollumfänglich erfassen kann: Ein Thema muss eingegrenzt, eine Auswahl getroffen und eine Erzählperspektive gefunden werden, die mit einer entsprechenden Gliederung den gesamten Stoff in eine sinnvolle Ordnung bringt und in einem angemessenen Umfang präsentiert.
Eine Geschichte des afrikanischen Kontinents zu schreiben, ist eine echte Herausforderung: Wo fängt man an? Was muss unbedingt erzählt werden? Was darf man straff zusammenfassen oder gar weglassen? Welche Erwartungen der Leserschaft müssen erfüllt werden und welche nicht? Für wen schreibt man eine solche afrikanische Kontinentalgeschichte?
Andrea Löw: „Deportiert. ‚Immer mit einem Fuß im Grab‘ — Erfahrungen deutscher Juden“
Die Deportationen jüdischer Mitbürger und anderer stigmatisierter Gruppen während der Zeit des Nationalsozialismus stellen eines der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte dar. Diese systematische Verfolgung, Ausgrenzung und Vernichtung begann mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 und fand ihren schrecklichen Höhepunkt während des Zweiten Weltkriegs.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann eine schrittweise Entrechtung und Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung sowie anderer Minderheiten wie Roma und Sinti, Homosexueller, politischer Gegner und Menschen mit Behinderungen. Gesetzgebungen wie das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ von 1933 und die Nürnberger Gesetze von 1935 stellten die rechtliche Grundlage für die systematische Diskriminierung dar. Jüdische Bürger wurden aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen, verloren ihre Arbeitsstellen, und es wurden ihnen grundlegende Bürgerrechte entzogen.
Die Deportationen begannen systematisch ab 1941. Jüdische Menschen, Roma und Sinti sowie andere verfolgte Gruppen wurden in Viehwaggons zu Konzentrationslagern wie Auschwitz, Treblinka und Sobibor transportiert.
W. Daniel Wilson: „Goethe und die Juden — Faszination und Feindschaft“
Das Verhältnis Johann Wolfgang von Goethes zu den Juden war von Komplexität und Widersprüchen geprägt, die ein spannungsreiches und interessantes Bild zeichnen. Goethe, einer der bedeutendsten deutschen Dichter und Denker, lebte in einer Zeit des gesellschaftlichen und kulturellen Wandels, in der die jüdische Emanzipation in Deutschland erst langsam voranschritt. Seine Einstellungen gegenüber den Juden spiegeln diese Dynamiken wider und bieten einen tiefen Einblick in die Geisteswelt und die sozialen Strukturen seiner Epoche.
Der emeritierte Germanistik-Professor W. Daniel Wilson lehrte von 1983-2005 in Berkeley und von 2006-2019 an der Universität London. Ohne Übertreibung darf man Wilson zu den international größten Goethe-Experten rechnen; seine zahlreichen Arbeiten über Goethes Leben und Werk haben sich auch immer wieder mit Themen beschäftigt, die von der Fachwelt vernachlässigt wurden — so befasste sich sein Buch „Goethe Männer Knaben“ mit Goethes liberalen Ansichten zur Homosexualität und „Das Goethe-Tabu“ mit Goethes amtliches Wirken im Kontext der Menschenrechte seiner Zeit.
Andreas Schwab: „Freiheit, Rausch & schwarze Katzen — Eine Geschichte der Bohème“
Die Geschichte der Bohème in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis ins frühe 20. Jahrhundert ist ein faszinierendes Kapitel der europäischen Kulturgeschichte. Sie bezieht sich auf eine subkulturelle Bewegung, die sich in den großen Metropolen Europas, insbesondere in Paris, entwickelte und eine Gruppe von Künstlern, Schriftstellern, Musikern und Intellektuellen umfasste, die einen unkonventionellen Lebensstil pflegten und die gesellschaftlichen Normen ihrer Zeit herausforderten.
Die Bohème entstand in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als die industrielle Revolution Europa veränderte. Mit der Urbanisierung und dem wirtschaftlichen Wandel kamen neue soziale Klassen und Spannungen auf. Künstler und Intellektuelle, die sich oft am Rande der Gesellschaft bewegten, suchten nach neuen Ausdrucksformen und Lebensweisen, die im Widerspruch zu den bürgerlichen Werten der aufstrebenden Mittelschicht standen.
Paris war das Epizentrum der Bohème. Das Viertel Montmartre wurde zum Synonym für das Leben der Bohémiens. Hier lebten und arbeiteten viele der bekanntesten Künstler und Schriftsteller jener Zeit, darunter Henri de Toulouse-Lautrec, Émile Zola, und Paul Verlaine. Diese Gemeinschaft wurde von einem Idealismus geprägt, der sich gegen die Kommerzialisierung der Kunst und die konventionellen Werte der Gesellschaft wandte.
Jenny Erpenbeck: „Heimsuchung“
Heimat. Ein Wort, das in jedem von uns unterschiedliche Bilder und Gefühle hervorruft. Für manche ist es ein konkreter Ort – ein Haus, eine Stadt, ein Land. Für andere ist es ein Gefühl von Zugehörigkeit, von Sicherheit und Geborgenheit, das nicht an einen physischen Ort gebunden ist. Der Begriff „Heim“ hingegen scheint intimer, persönlicher, näher an der eigenen Existenz verankert. Doch was passiert, wenn diese Heimat verloren geht, wenn das Heim nicht mehr existiert? Wie beeinflusst uns die Heimatlosigkeit, und wie finden wir einen Weg zurück zu uns selbst?
Heimat ist mehr als nur ein geographischer Ort. Sie ist ein Geflecht aus Erinnerungen, Erfahrungen und Gefühlen, die uns mit einem bestimmten Platz verbinden. Heimat ist, wo wir aufwuchsen, wo wir uns geborgen fühlten, wo wir unsere Identität formten. Sie ist tief in unserer Psyche verwurzelt und prägt unser Selbstverständnis.
Ein Heim ist der physische Ausdruck dieser Heimat. Es ist der Ort, an dem wir leben, an dem wir uns sicher fühlen und an dem wir uns entspannen können. Ein Heim ist der Raum, in dem wir uns entfalten, in dem wir unsere Persönlichkeit ausdrücken und in dem wir uns regenerieren. Ein Heim kann ein Haus, eine Wohnung oder sogar ein Zimmer sein – es ist der Ort, den wir als unseren Rückzugsort betrachten.
Ramón Reichert: „Selfies — Selbstthematisierung in der digitalen Bildkultur“
Die Selfie-Kultur, die in den letzten Jahren durch die Verbreitung von Smartphones und sozialen Medien explosionsartig gewachsen ist, stellt ein komplexes Phänomen dar, das tief in die moderne digitale Bildkultur eingreift. Während Selfies oft als harmlose Form der Selbstdarstellung betrachtet werden, werfen sie bei genauerer Betrachtung bedeutende Fragen über Narzissmus, Authentizität und die Auswirkungen auf die soziale Interaktion auf.
Der Begriff „Selfie“ beschreibt ein Selbstporträt, das typischerweise mit einer Smartphone-Kamera aufgenommen und anschließend in sozialen Netzwerken geteilt wird. Diese Praxis hat sich von einer gelegentlichen Aktivität zu einer omnipräsenten sozialen Norm entwickelt. Millionen von Selfies werden täglich auf Plattformen wie Instagram, Facebook und Snapchat gepostet. Der zugrunde liegende Impuls scheint oft die Suche nach Bestätigung und Aufmerksamkeit zu sein. Likes, Kommentare und Shares fungieren als digitale Währungen, die den Wert des eigenen Bildes und damit indirekt des eigenen Selbst bestätigen.
Ein zentrales Problem der Selfie-Kultur ist der Vorwurf des Narzissmus. Kritiker argumentieren, dass die ständige Selbstthematisierung und das Streben nach Anerkennung die Nutzer egozentrisch und oberflächlich machen.
Franz Kafka: „Wahrheit ist unteilbar — Die Aphorismen“
In diesem Jahr 2024 „feiern“ wir den 100. Todestag von Franz Kafka (1883–1924). Kafka gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts und als prägender Vertreter der modernen Literatur. Sein Werk, das vor allem aus Romanen und Erzählungen besteht, zeichnet sich durch eine einzigartige Mischung aus surrealen, düsteren und oft beängstigenden Elementen aus, die die menschliche Existenz in einer zunehmend entfremdeten und bürokratischen Welt thematisieren.
Kafkas bekannteste Werke sind die unvollendeten Romane „Der Prozess“, „Das Schloss“ und „Amerika“, sowie die Erzählungen „Die Verwandlung“ und „In der Strafkolonie“. „Der Prozess“ schildert die absurde und beklemmende Geschichte von Josef K., der eines Tages verhaftet wird, ohne den Grund zu erfahren, und sich gegen ein undurchsichtiges Justizsystem wehren muss. In „Das Schloss“ kämpft der Landvermesser K. vergeblich darum, Zugang zu einer rätselhaften Schlossbehörde zu erhalten, während „Amerika“ die Odyssee eines jungen Emigranten in einem fiktiven Amerika beschreibt. „Die Verwandlung“ erzählt von Gregor Samsa, der sich eines Morgens in ein riesiges Insekt verwandelt und mit der zunehmenden Isolation und Entfremdung von seiner Familie kämpft.
Hans Wollschläger (Hg.): „Das Karl Kraus Lesebuch“
„Die Fackel“ war eine einflussreiche literarische und kulturelle Zeitschrift, die von dem österreichischen Schriftsteller und Satiriker Karl Kraus gegründet und nahezu vollständig selbst herausgegeben wurde. Erstmals im April 1899 veröffentlicht, erschien die Zeitschrift bis 1936 und prägte die literarische und kulturelle Szene der Wiener Moderne maßgeblich.
Karl Kraus nutzte „Die Fackel“ als Plattform für seine scharfsinnigen und oft polemischen Kommentare zur Politik, Gesellschaft, Kultur und insbesondere zur Presse seiner Zeit. Die Zeitschrift war bekannt für ihre unerschrockene Kritik an Korruption, Heuchelei und Dekadenz in der öffentlichen und privaten Sphäre. Kraus‘ meisterhafte Beherrschung der Sprache und sein scharfer analytischer Verstand machten „Die Fackel“ zu einem unverzichtbaren Medium für Intellektuelle und Literaten.
„Die Fackel“ von Karl Kraus ist nicht nur aufgrund ihrer inhaltlichen Schärfe bemerkenswert, sondern auch wegen ihres Umfangs und der thematischen Vielfalt. Im Laufe der 37 Jahre ihres Bestehens erschienen insgesamt 922 Ausgaben mit einer Gesamtseitenzahl von etwa 30.000 Seiten. Diese enorme Menge an Textmaterial umfasste Essays, Aphorismen, Gedichte, Theaterkritiken, politische Analysen und literarische Rezensionen.
Michael Bienert: „Das aufgeklärte Berlin — Literarische Schauplätze“
Die Aufklärung war eine bedeutende intellektuelle Bewegung im 18. Jahrhundert, die Vernunft, Wissenschaft und individuelle Freiheit betonte. In Berlin, der Hauptstadt Preußens, nahm diese Bewegung eine besonders lebendige und einflussreiche Form an. Berlin wurde zu einem Zentrum der Aufklärung dank der Unterstützung von Königen wie Friedrich II., bekannt als Friedrich der Große, und der Aktivitäten zahlreicher bedeutender Denker und Schriftsteller.
Friedrich der Große spielte eine zentrale Rolle in der Berliner Aufklärung. Als Monarch förderte er die Wissenschaften und die Künste, lud Intellektuelle an seinen Hof ein und schuf eine Atmosphäre der Toleranz und des intellektuellen Austauschs. Unter seiner Herrschaft wurden wichtige Institutionen wie die Berliner Akademie der Wissenschaften gestärkt, die ein Forum für wissenschaftliche und philosophische Diskussionen bot.
Reiner Pommerin: „Die NS-Rassenpolitik und die Bundesrepublik“
Die NS-Rassenpolitik war ein zentraler Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie und prägte die Zeit des Dritten Reichs von 1933 bis 1945. Diese Politik basierte auf einer rassistischen Weltanschauung, die die Überlegenheit der „arischen“ Rasse propagierte und eine hierarchische Einteilung der Menschheit vornahm. Die Nationalsozialisten, angeführt von Adolf Hitler, setzten diese Ideologie in Form systematischer Diskriminierung, Verfolgung und Ermordung von Millionen Menschen um. Besonders betroffen waren Juden, Sinti und Roma, Slawen, Schwarze, Menschen mit Behinderungen, Homosexuelle und politische Gegner. Die grausamste Manifestation dieser Politik war der Holocaust, bei dem etwa sechs Millionen Juden ermordet wurden.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Niederlage des NS-Regimes begann in der Bundesrepublik Deutschland die Aufarbeitung der NS-Rassenpolitik. Diese Aufarbeitung erfolgte in mehreren Phasen und unterlag einem ständigen Wandel im gesellschaftlichen und politischen Kontext. In den ersten Jahren nach dem Krieg dominierten die Prozesse der Entnazifizierung und die Nürnberger Prozesse, die führende NS-Verbrecher vor Gericht stellten. Diese juristische Aufarbeitung legte den Grundstein für die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus.
Mechtilde Lichnowsky: „Der Kampf mit dem Fachmann“
Wer war Mechtilde Lichnowsky? — Immer mal wieder landet ein Buch auf dem Tisch des Rezensenten, das ohne Übertreibung als eine „Entdeckung“ bezeichnet werden kann. In diesem Fall handelt es sich, genauer gesagt, um die Wiederentdeckung einer Schriftstellerin, die viel zu lange in Vergessenheit geraten war, die jedoch zu ihrer Zeit zu den schärfsten Zungen des deutschsprachigen Feuilletons gehörte.
Mechtilde Lichnowsky — geboren 1879 als Gräfin Mechtilde Christiane Marie von und zu Arco-Zinneberg — war ein Kind des niederbayerischen Hochadels und eine Ururenkelin der Kaiserin Maria Theresia. Wie in jenen Kreisen selbstverständlich, hat sie nie eine öffentliche Schule besucht, auch keine Universität — und doch steckte sie mit ihrem fundierten Allgemeinwissen, der Kenntnis mehrerer Fremdsprachen, einem kritischen Denken und Scharfsinn, gepaart mit einer ordentlichen Portion Humor und Sprachwitz die meisten Gesprächspartner in die Tasche.
Solch eine Frau braucht einen ebenbürtigen Partner, das war Fürst Karl Max Lichnowsky, der unter anderem für das Deutsche Reich unter Wilhelm II. von 1912 bis 1914 Botschafter in London war.
Maria Leitner: „Hotel Amerika“
Maria Leitner war eine bemerkenswerte deutsche Schriftstellerin und Journalistin, die 1892 in Varaždin (Österreich-Ungarn) geboren wurde. Sie war bekannt für ihre sozialkritischen Werke und Reportagen, die sie vor allem in den 1920er und 1930er Jahren verfasste. Leitner begann ihre Karriere als Journalistin und reiste viel, was ihr die Möglichkeit gab, die sozialen und politischen Verhältnisse in verschiedenen Ländern aus nächster Nähe zu beobachten und darüber zu berichten.
Ihre bekanntesten Werke sind Reportagen und Romane, die das Leben der Arbeiterklasse und die Auswirkungen des Kapitalismus aufzeigen. Eines ihrer bedeutendsten Werke ist der jetzt vom Reclam-Verlag neu aufgelegte Roman „Hotel Amerika“, in dem sie das harte Leben der Bediensteten in den luxuriösen Hotels der USA schildert. Ihre präzise und eindringliche Sprache half, die Ungerechtigkeiten und sozialen Missstände jener Zeit sichtbar zu machen.
Stefan Matuschek: „Die Romantik — Themen, Strömungen, Personen“
Die Epoche der Romantik, die etwa von 1795 bis 1840 andauerte, war eine kulturelle und intellektuelle Bewegung, die sich als Gegenbewegung zur Rationalität und den ideologischen Prinzipien der Aufklärung entwickelte. Die Romantik betonte Emotionen, Individualität und die subjektive Wahrnehmung der Welt. Sie wandte sich gegen die Industrialisierung und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen und suchte Zuflucht in der Natur, der Mystik und der Vergangenheit.
Die Romantiker schätzten das Unbewusste, das Fantastische und das Geheimnisvolle. Diese Epoche war geprägt von einer tiefen Verbundenheit zur Natur, einem Sinn für das Wunderbare und einer Vorliebe für das Mittelalter als Inspirationsquelle. Literarische Werke, Musik, Kunst und Philosophie dieser Zeit spiegeln diese Ideale wider.
In der Literatur entstanden in der Romantik bedeutende Werke, die durch ihre bildhafte Sprache und tiefgründige Themen wie Liebe, Tod und das Unendliche beeindrucken. Bekannte Autoren dieser Zeit sind unter anderem Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Novalis und E.T.A. Hoffmann.
Die Romantik legte den Grundstein für viele moderne künstlerische und literarische Entwicklungen und beeinflusst bis heute unser Verständnis von Kreativität und Individualität.
Udo Marquardt: „Zeit und Mensch — Facetten einer Kulturgeschichte“
Die Beziehung zwischen Zeit und Mensch ist eine der faszinierendsten und tiefgründigsten Verbindungen in der Geschichte der Menschheit. Zeit durchdringt jeden Aspekt unseres Lebens, von den kleinsten Momenten des Alltags bis hin zu den großen Epochen der Geschichte. Sie formt unsere Wahrnehmung, beeinflusst unsere Entscheidungen und bestimmt unseren Lebensrhythmus.
Während die Uhr unerbittlich tickt, streben wir danach, den flüchtigen Augenblick festzuhalten und den Verlauf unseres Lebens zu verstehen und zu kontrollieren. Seit der Antike versuchen Menschen, die komplexe Dynamik zwischen Zeit und Mensch zu erkunden und zu verstehen, wie diese beiden untrennbar miteinander verbundenen Konzepte unser Dasein prägen.
Der Philosoph Udo Marquardt hat sich ausführlich mit dem komplexen Wechselverhältnis von Zeit und Mensch intensiv beschäftigt und jetzt im Schabe Verlag ein Buch veröffentlicht, in dem er eine facettenreiche Kulturgeschichte der Zeit entwirft.
Andreas Hoffmann: „Versteckt in Berlin — An geheimen Orten der Hauptstadt“
In einer großen Stadt kann man sich immer besser verstecken als auf dem Land. Während die ländliche Nachbarschaft in der Regel ganz genau weiß, wer wo mit wem und warum zusammenlebt, bietet die Großstadt eine Vielzahl von versteckten Winkeln, ungenutzten und leerstehenden Räumen und Brachflächen, die sich als Unterschlupf eignen.
Wo könnte man also in Deutschland leichter unerkannt in der Menge verschwinden als in Berlin?! — Das war nicht erst nach 1933 so, als jüdische Mitbürger von mutigen Nachbarn auch mitten in Berlin versteckt wurden und so die tausend Jahre des Nazi-Terrors überleben konnten; sondern die Geschichte der Berliner Verstecke reicht zurück bis ins Spätmittelalter.
Der Berliner Historiker und ehemalige Gymnasiallehrer Andreas Hoffmann hat in seinem neuen Buch viele Geschichten von Menschen gesammelt, die sich in Berlin aus den unterschiedlichsten Gründen selbst versteckt haben bzw. versteckt wurden.
Michael Schmidt-Salomon: „Die Evolution des Denkens. Das moderne Weltbild — und wem wir es verdanken“
„Ein Kopf denkt nie allein“. Oder noch platter formuliert: „Von nichts kommt nichts.“ Selbst die klügsten Denker erarbeiten sich ihre Erkenntnisse nicht im luftleeren Raum, sondern greifen auf die Erkenntnisse früherer Denker zurück. Das kreative Gedankenspiel mit den Ideen der Vorgänger, ihre Kombination oder individuelle Interpretation, ihre Kritik oder gar ihre Verwerfung umschreibt jenen schöpferischen Prozess, durch den Neues geschaffen und unser Weltbild immer wieder neu geformt wird.
Isaac Newton hat diese Tatsache des kreativen Umgangs mit den Erkenntnissen früherer Forscher und Denker sehr treffend beschrieben: „Wenn ich weiter gesehen habe [als andere], so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stehe.“ Ohne jene Riesen, die vor ihm bereits an denselben Problemen der Physik arbeiteten, wäre Newton kaum zu seinen revolutionären Erkenntnissen gekommen.
„Die Evolution des Denkens“ von Michael Schmidt-Salomon ist eine tiefgreifende Analyse, die sich mit der Entwicklung des menschlichen Denkens im Laufe der Geschichte befasst.
Kate Summerscale: „Das Buch der Phobien und Manien — Eine Geschichte der Welt in 99 Obsessionen“
Der Begriff der Phobie (abgeleitet von Phobos, dem griechischen Gott der Furcht) wurde ursprünglich vor allem für die Symptome einer körperlichen Krankheit verwendet, bis Benjamin Rush, einer der Gründervater der Vereinigten Staaten von Amerika, ihn erstmals auf psychische Erkrankungen anwendete.
Die erfolgreiche Sachbuchautorin und Journalistin Kate Summerscale führt in ihr neues Buch über die bunte und skurrile Welt der Phobien und Manien ein, indem sie Benjamin Rush als ersten nennt, der bereits im Jahre 1786 ein „modernes“ Verständnis von Phobien gebrauchte, indem er deren Symptome nicht auf körperliche Erkrankungen, sondern auf psychische Probleme zurückführte. Hierbei schlug Rush, so die Autorin, „durchaus einen heiteren Ton an“, wenn er beispielsweise die „Heim-Phobie“ als eine Erkrankung beschrieb, die „bevorzugt Herren befalle, die den Zwang verspürten, nach der Arbeit in der Taverne Halt zu machen“ …
Nun ja. — Dass der heitere Benjamin Rush jedoch auch eine dunkle Seite hatte, verschweigt die Autorin. Denn Benjamin Rush war ein Befürworter einer gewaltanwendenden Psychotherapie.
Carolin Emcke: „Was wahr ist — Über Gewalt und Klima“
Faktuales Erzählen ist ein Erzählen, das sich an der Wirklichkeit orientiert. Im Gegensatz zum fiktionalen Erzählen, das dem Schriftsteller erlaubt, frei zu assoziieren und Geschichten zu erzählen, die (zumindest in Teilen) ausgedacht sind und eine Welt beschreiben, die so nicht in der Wirklichkeit existiert, kommt es beim faktualen Schreiben darauf an, Ausschnitte aus der Wirklichkeit aufzuschreiben, deren Wahrheitsgehalt nachprüfbar ist.
Faktuales Schreiben unterliegt demnach bestimmten Zwängen; es ist ein Erzählen von Ereignissen, die in der Vergangenheit geschehen sind und die durch die Arbeit des Schriftstellers in einen Zusammenhang gebracht und deren Faktizität durch glaubwürdige Belege bestätigt werden.
Im Rahmen ihrer Poetikdozentur für faktuales Erzählen an der Bergischen Universität Wuppertal befasste sich die Schriftstellerin, Journalistin und Publizistin Carolin Emcke 2023 mit den Bedingungen des faktualen Erzählens im Angesicht von Gewalt und Verfolgung, aber auch im Zusammenhang mit der Klimakrise.
Uwe Wittstock: „Marseille 1940 — Die große Flucht der Literatur“
Die deutsche Literatur- und Kulturgeschichte haben einem Mann viel zu verdanken, von dem die allermeisten noch nie gehört haben dürften: dem Amerikaner Varian Fry. Der junge Journalist ist die Zentralfigur in Uwe Wittstocks neuem Buch über die großen Flüchtlingsströme, die sich ab dem Frühjahr des Jahres 1940 über den südfranzösischen Knotenpunkt Marseille auf der Flucht vor der vorrückenden deutschen Wehrmacht in Sicherheit bringen wollen.
Bereits vor einigen Jahren hatte Uwe Wittstock mit „Februar 1933 — Der Winter der deutschen Literatur“ ein packendes Sachbuch geschrieben, das kollagenhaft Tagebucheinträge und Selbstaussagen mit aus zahlreichen Quellen gespeisten Hintergrundinformationen zu einem Bilderbogen der historischen Ereignisse kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zusammenstellt.
Was sich liest wie ein temporeicher Roman, ist jedoch leider keine Fiktion, sondern war der reale Albtraum einer ganzen Schriftsteller- und Intellektuellen-Generation in Deutschland nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten.
Michael Borgolte: „Globalgeschichte des Mittelalters“
Nur auf den ersten Blick scheint die Globalisierung ein modernes Phänomen zu sein, welches die Gegenwart von der Vergangenheit unterscheidet. Jedoch bei genauerer Betrachtung wird klar, dass es transnationale und transkontinentale Verflechtungen auch schon viel früher gab, nicht erst seit der Frühen Neuzeit und der im 15. Jahrhundert einsetzenden Kolonialisierung der Welt im Zuge des europäischen Imperialismus, sondern noch früher, sowohl im Mittelalter als auch, genau genommen, schon in der Antike.
Legt man nämlich als Maßstab für eine Globalisierung die jeweils bekannte Welt eines Zeitalters zugrunde, so lässt sich durchaus auch für das antike Griechenland oder das Römische Reich — basierend auf den Handelswegen und dem Austausch zwischen den Kulturen — von Prozessen einer Globalisierung sprechen.
Der Drang des Menschen, über die eigenen Grenzen hinaus ins Unbekannte vorzustoßen, hat nicht nur die Entdecker beflügelt, sondern auch den Handel. Obwohl man natürlich in jenen Epochen der Weltgeschichte noch nicht von Nationalstaaten im modernen Sinne sprechen kann und es somit auch keinen Sinn machen würde, von transnationalen Verflechtungen zu sprechen, so lassen sich dennoch Prozesse des kulturellen Austauschs und des Aufbaus stabiler Handelsbeziehungen nachweisen.
Laura Schaper: „Ökologische Erinnerungsorte des Erhabenen“
Die Autorin beschäftigt die Frage, ob und wie man die gewaltigen Kräfte der Natur und die menschliches Verstehen und Vermögen übersteigenden Auswirkungen menschengemachter Naturkatastrophen literarisch abbilden lassen und wie von ihnen erzählt werden kann undd muss.
Exemplarisch untersucht sie an Werken von Christa Wolf, Nina Jäckle und Alina Bronsky und den atomaren Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima die Möglichkeiten erzählerischer Verarbeitung jener Konfrontation mit dem „Erhabenen“.
In der Ästhetik wird von Erhabenheit gesprochen, wenn wir in Berührung mit etwas kommen, was die normale Wahrnehmung bei weitem übersteigt: Die Erhabenheit der Schönheit der Natur ist hierfür ein gutes Beispiel. Doch erhaben sind nicht nur jene faszinierenden und schönen Ansichten in der Kunst und der Natur, sondern auch jene Erscheinungen, die uns unsere eigene Machtlosigkeit und unsere Ohnmacht deutlich machen: ein Vulkanausbruch, ein starkes Gewitter oder auch die gewaltige Explosion eines Kernreaktors.
Hektor Haarkötter: „Küssen — Eine berührende Kommunikationsart“
Ersetzen Sie einfach in Gedanken jedes „Du und ich“ in diesem Buch durch das viel leichtere und nicht so aufdringliche „Wir“, und schon werden Sie dieses Buch (und seinen Autor!) lieben und — ja, warum nicht?! — auch gerne küssen wollen, wie es der Autor gleich zu Beginn im Rahmen eines kleinen Alltagsexperiments empfiehlt.
Denn was der Professor für Kommunikationswissenschaft über diese „berührende Kommunikationsart“ zusammengetragen und zu sagen hat, ist wirklich interessant, teilweise kurios und immer unterhaltsam.
Ersetzt man also jedes „Du und ich“ durch „wir“, so landet man stilistisch bei Klassikern der Kunst- und Kulturgeschichten, bei Egon Friedell und bei Eduard Fuchs. Weder Fuchs noch Friedell waren Teil des akademischen Wissenschaftsbetriebs ihrer Zeit, sondern waren — wie man heute herablassend sagen würde — nur „interessierte Laien“ ohne Hochschul-Abschluss, die Bücher über Themen verfassten, die sie interessierten. Aber vielleicht war es ja gerade diese Leerstelle akademischer Qualifikation, welche ihnen geholfen hat, über all das, was sie für bemerkenswert hielten, mit Begeisterung und Leidenschaft zu schreiben und dabei mühelos die austrocknende Wirkung wissenschaftlichen Arbeitens auf den Text zu vermeiden?
Friedrich Lenger: „Der Preis der Welt — Eine Globalgeschichte des Kapitalismus“
Der Kapitalismus hat sich weltweit als das führende Wirtschafts- und Gesellschaftssystem durchgesetzt. Diese Entwicklung vollzog sich nicht immer gleichförmig und erfolgreich, sondern war über die Jahrhunderte auch von gegenläufigen Entwicklungen und Rückschlägen geprägt. Diese Entwicklungsgeschichte nimmt der renommierte Historiker Friedrich Lenger in seinem neuen Buch in den Blick, wobei er sich nicht auf eine (vielleicht für manchen immer noch naheliegend erscheinende) eurozentrische Perspektive beschränkt, sondern vielmehr eine Globalgeschichte des Kapitalismus nachzuzeichnen versucht.
Friedrich Lenger ist Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Gießen — und genau einen solch weiten historischen Blick über Mittelalter und Neuzeit bis in die Gegenwart braucht es, um eine Globalgeschichte des Kapitalismus zu erzählen, die nicht wie gewöhnlich nur die letzten 500 Jahre seit der Renaissance umfasst. Wenn auch vor 500 Jahren eine neue Entwicklung von den italienischen Handelsstaaten ausging, so liegen ihre Wurzeln in der Zeit davor und führen uns weiter zurück in die Vergangenheit.
Susan Sontag: „Wie wir jetzt leben — Erzählungen“
Mit dem Namen Susan Sontag verbinden wir vor allem gesellschafts- und kulturkritische Essays, wie „Anmerkungen zu Camp“, ihrem vielleicht bekanntesten Essay (1964), oder auch ihre kritischen Auseinandersetzungen mit den modernen Medien und vor allem der Fotografie; wir kennen die 1933 geborene und 2004 gestorbene Amerikanerin als streitlustige und meinungsstarke Kulturkritikerin trat Susan Sontag. —
Aber Susan Sontag als Schriftstellerin und Verfasserin von Short Stories? Das wird für viele Leserinnen neu sein, dabei hat sie neben den Essays und anderen Texten, die sich kritisch mit Kultur und Gesellschaft auseinandersetzten, auch einige Romane und autobiographische Schriften veröffentlicht.
Jean Molitor und Kaija Voss: „Bauhaus in Berlin — Eine fotografische Reise durch die Klassische Moderne“
Es geschieht leider nicht allzu häufig, dass ein derart perfekt durchgestaltetes und in seiner Art von A bis Z stimmiges Buch auf dem Tisch des Rezensenten landet. Umso erfreulicher ist die Tatsache, dass mit dem vorliegenden neuen Band „Bauhaus in Berlin — Eine fotografische Reise durch die Klassische Moderne“ dem großartigen architekturgeschichtlichen Werk zum Bauhaus in der Weimarer Republik des Autorenteams Molitor und Voss ein weiterer wichtiger Baustein hinzugefügt wird.
Wie schon in den zuvor erschienenen Bildbänden („Bauhaus — Eine fotografische Weltreise“ und „Bauhaus in Bayern“) verschmelzen auch in dieser Neuerscheinung Bild und Text zu einer geradezu kongenialen Einheit; perfekt ergänzen die Texte der Architekturhistorikerin Kaija Voss die wunderschön zeitlosen Schwarzweiß-Fotografien des Fotografen Jean Molitor.
Florian Illies: „Zauber der Stille — Caspar David Friedrichs Reisen durch die Zeiten“
Die träumerischen und oftmals melancholischen Gemälde von Caspar David Friedrich sind heutzutage für uns der Ikonen der deutschen Romantik. Ob „Der Wanderer über dem Nebelmeer“, die „Kreidefelsen auf Rügen“, „Der Mönch am Meer“ oder die „Abtei im Eichwald“ — Keiner hat diese von einer tiefen Sehnsucht geprägte und scheinbar so urdeutsche Gefühlswelt der Romantik besser illustriert als er. Jedoch die Tatsache, dass wir Caspar David Friedrich so instinktiv und untrennbar mit der deutschen Romantik verbinden, ist keineswegs selbstverständlich; nach seinem Tod war der Maler lange, lange Zeit fast vergessen, erst spät in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begannen Maler des Realismus und Symbolismus seine teilweise radikalen Bildkonzepte zu schätzen; seine Wiederentdeckung durch das Publikum ließ noch länger auf sich warten.
Der Kunsthistoriker, Journalist und Autor Florian Illies hat sich intensiv mit dem Leben und Werk von Caspar David Friedrich befasst. Wie man es von ihm gewohnt ist, beinhaltet diese intensive Beschäftigung mit dem Forschungsgegenstand gleichermaßen dessen extensive Bearbeitung. Illies beschenkt seine Leser mit den Früchten einer komplexen und umfassenden Recherche, die sowohl in die Breite der vielfältigen Verknüpfungen von Werk und Leben des Künstlers ausgreift als auch die Tiefen des jeweiligen Gegenstands auslotet.
Edmund Edel: „Mein Freund Felix — Abenteuerliches aus Berlin W. W.“
„Berlin W. W.“, das ist der Neue Westen der Reichshauptstadt, die Gegend rund um den Kurfürstendamm. Wir schreiben das Jahr 1914. Die Welt der Wohlhabenden und Besserverdiener lässt es sich gutgehen. Man trifft sich, lässt sich sehen, sucht „Gesellschaft“ und lädt auch selbst zu „Gesellschaften“. Nicht selten finden diese in den Privaträumen der großzügigen und vielräumigen Wohnungen der noch frisch im Glanze stehenden Bürgerhäuser aus der Gründerzeit statt. Selbstverständlich dienen solche Veranstaltungen der Repräsentation — und selbstverständlich werden die privaten Räumlichkeiten hierzu nicht in ihrem Originalzustand belassen, sondern zum Zwecke der Repräsentation ordentlich rausgeputzt.
„Mundus vult decipi“, weiß der Bildungsbürger — die Welt will betrogen sein —, und so nimmt man dankend den Service von sogenannten „Tafelverleihinstituten“ in Anspruch, die neben Tafelgeschirr, Sitzmöbeln und Tischdekorationen auch gleich noch einige ansprechende Kunstobjekte für den Abend mit verleihen, welche die Aufmerksamkeit der Gäste auf sich ziehen und ihren Glanz auf die Gastgeber zurückstrahlen sollen.
Isobel Markus: „Neues aus der Stadt der ausgefallenen Leuchtbuchstaben“
Der Buchtitel klang witzig, und die Empfehlung vonseiten des Quintus-Verlags zur Lektüre dieser Neuerscheinung war freundlich und nachdrücklich: Isobel Markus. So so. Na, werfen wir mal einen Blick in das Büchlein …
Im Nachhinein ist es schon etwas peinlich — um nicht zu sagen: unverzeihlich —, dass man als kulturinteressierter und in Mitte-Tiergarten lebender Urberliner weder von Isobel Markus, noch von ihrer Kolumne oder von ihrem Salon gehört hat, obwohl man nur wenige S-Bahn-Stationen vom Weltgeschehen entfernt wohnt! (Liebe Frau Markus, es tut mir aufrichtig leid, und es wird ganz sicher nicht mehr vorkommen, denn nun kenne ich ja ihr zweites Leuchtbuchstaben-Büchlein — und es war eine wunderbare Lektüre!)
Selten wird einem Rezensenten heutzutage die Freude zuteil, etwas Überraschendes, Erfrischendes, Neuartiges auf seinem Schreibtisch zu finden. Die große Mehrheit der Neuerscheinungen ist ordentlich gemacht, wenigstens leidlich lektoriert und von den gröbsten orthographischen Fehlern befreit, gut geschrieben und sauber recherchiert.